geschichten jener Zeit Auskunft. Sie wurden in folgender Weise für den Vergleich durch Experten aufbereitet. Aus den Krankenakten der Zeit von 1965 bis 1980 entnehmen wir alle substantiellen Angaben zur(a) medizinischen Diagnose, (b) über Kompetenzen und(c) über Verhaltensbesonderheiten der Patienten und extrahieren so für jeden ein anamnestisches Portrait(siehe zwei Beispiele Kasten 1,2). Die medizinische Diagnose (a) ist vom Arzt getroffen und gibt die psychiatrische Kategorisierung nach Schwachsinnsform, Ätiologie und Schweregrad(debil, imbezill, idiotisch) an. Widersprüche oder andere als(seltene) graduelle Veränderungen fanden wir bei wiederholten oder mehrfachen Diagnosen nicht(Möglicherweise konvergieren hier ärztliches Urteil und reale Persönlichkeitsentwicklung des Behinderten in jenem Prozeß sozialer Definition, der Gegenstand der labeling-Theorie ist).
Als Kompetenz(b) wurden nur verhaltensnahe Angaben extrahiert, in der Regel solche, die lebenspraktische Fertigkeiten, Sprache, Motorik, Verhalten bei Arbeit und Beschäftigung bezeichnen. Diese Informationen entstammen Gutachten und Entwicklungsberichten, die wiederholt von Fachpersonal(Psychologen, Pädagogen, Ärzte) verfaßt wer
den, und die stets auf aktuellen Beobach
tungen der jeweiligen Verfasser— nicht auf Fremdanamnesen— beruhen, und/ oder die sich auf Testverfahren wie Hawik/Hawie oder Bühler-Hetzer-Entwicklungstest, Vineland-Scale oder PAC (Pädagogische Analyse und Curriculum), stützen.
Beschreibungen von(c) Verhaltensauffälligkeiten— also individuelle Besonderheiten bizarren ,stereotypen oder gefährdenden Verhaltens— vervollständigen das anamnestische Portrait. Dabei wurden nur solche Verhaltensschilderungen aufgenommen, die in der Akte eines Patienten wiederholt auftauchen, jedoch nicht Schilderungen einmaliger, etwa reaktiver Störungen.
Die Herstellung der Aktenauszüge dürfte das methodisch schwächste Glied dieser Studie sein, da die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß unser Erkenntnisinteresse negative Angaben in Langen
Holger Probst& Beate Gleim
Anamnestisches Portrait Bruno K.
Diagnose:
geistige Behinderung(Il. bis) Ill. Grades, Anfallsleiden
Kompetenzen:
lebenspraktische Fähigkeiten sind nicht feststellbar(zurückzuführen auf erhebliche Apathie und Antriebslosigkeit). Er ist jedoch mit seinen Körperausscheidungen sauber.
fehlende Sprachentwicklung, Wörter werden stammelnd hervorgebracht, daher ist die Aussprache für Außenstehende nur schwer verständlich, mit Betreuern ist die Verständigung gut.
kaum ein Auffassungsvermögen und Denkvermögen feststellbar. 15-jährig: Erweiterung der lebenspraktischen Fähigkeiten, er ist selbständig, kann sich selbst an- und ausziehen, ist sauber, kann sich stundenlang mit Spielzeug beschäftigen, führt leichte ihm gestellte Aufgaben gewissenhaft aus, kann gut sprechen.
Vineland Social Maturity Scale ergab einen Entwicklungsquotienten von 46, d.h. er steht etwa auf dem Entwicklungsstand eines 7-jährigen
- Versorgung schwergeistig- und mehrfachbehinderter Erwachsener
Kindes,
ist unsicher in der zeitlichen Orientierung.
ist form- und farbsicher.
erkennt Ziffern von 1—10, weiß sie zu benennen(auch in der richtigen
Reihenfolge).
Verhalten:
— Apathie, erhebliche Antriebsschwäche, keine Tendenz zur spontanen Kontaktaufnahme, kaum auch eines Blickkontaktes fähig. — schnell zu Aggressionen führende Reizbarkeit.
— Stimmungslage, soweit beurteilbar, eher indifferent, affektive Abstumpfung und fast das Fehlen einer emotionalen Schwingungsfähigkeit.
(Psychiatrisches Krankenhaus Herborn; aktuell 15 Entwicklungsmonate, Summe aus drei Straßmeier-Skalen, siehe Tab. 2, Paar Nr. 2; EA Selbstversorgung 6 Monate)
feld und positive Angaben in Herborn bevorzugte. Es gab jedoch keine Möglichkeit, die Extrakte von neutraler oder unwissender Seite herstellen zu lassen. Die Vorkehrungen gegen den bias bestehen in den 0o.g. formalen Kriterien, in dem Prinzip, die Krankengeschichten vollständig nach authentischer und nichtredundanter Information auszuschöpfen sowie in der Übernahme der vorgefundenen Wortwahl.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVI, Heft 4, 1990
Vierter Schritt: Paarvergleich der anamnestischen Portraits durch Experten
Die anamnestischen Portraits wurden so in eine Mappe geheftet, daß die bestimmten Paarlinge jeweils auf gegenüberliegenden Seiten— links/rechts— präsentiert sind. Dabei wechselte zufällig Herborn/ Langenfeld, wechselten aber auch heute entwicklungsgleiche(parallele) und heute rangplatzgleiche, also entwicklungsunterschiedliche(analoge) Paarlinge. Die Instruktion versieht die Beurteiler mit der Aufgabenstellung,„aufgrund der Aus
züge aus Krankengeschichten“...„ei
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