Klaus Esser
Das mitarbeiterzentrierte Fallgespräch
betreffen, 3. wenn ein gemeinsames Vorgehen besprochen werden soll. Auch bei einer Gruppenverlegung kann es hilfreich sein, wenn die zukünftigen Mirarbeiter an einem Fallgespräch teilnehmen. Dasselbe gilt für die wohngruppenfremden Mitarbeiter der Institution(Therapeuten, Mitarbeiter anderer Gruppen etc.). Da die Wohngruppe der zentrale Lebensort des Bewohners ist, deren Mitarbeiter eine eigenständige soziale Gruppe bilden, richtet sich die Beratung in erster Linie an diese spezielle Gruppe. Die Beratungsform berücksichtigt die gruppendynamischen Prozesse und kann daher von Gruppe zu Gruppe sehr unterschiedlich sein. Von daher ist die Einbeziehung Außenstehender nicht ohne weiteres in die Beratung zu integrieren, sondern ist als Ausnahmeform anzusehen, die mit der Gruppe abgesprochen und vorbereitet werden muß.
Immer wieder wird im Fallgespräch die Beziehung des Behinderten zu seinen Eltern thematisiert und über die Schwierigkeiten im Kontakt Gruppenmitarbeiter— Eltern gesprochen. Familiendynamische Zusammenhänge gehören zum fachlichen Inhalt von Fallgesprächen. Ausgangspunkt ist jedoch das subjektive Erleben und Empfinden des einzelnen Mitarbeiters und seine Erfahrungen mit den Eltern. Auch seine eigenen Vorstellungen, wie Eltern sein sollten und die Erfahrungen mit den eigenen Eltern spielen hier hinein. Der Umgang Mitarbeiter— Eltern kann entscheidend verbessert werden, wenn diese subjektiven Anteile ins mFG einbezogen werden können. Dabei hat die Beratung zum Ziel, die Entwicklung in der Familie des betroffenen Behinderten verständlich und nachvollziehbar zu machen. Es ist daher nicht sinnvoll, daß bei diesem auf den Mitarbeiter ausgerichteten Prozeß die Eltern als Betroffene anwesend sind. Hier ist Mitarbeiterberatung und Elternarbeit deutlich zu trennen.
Im Einzelfall konnten gute Erfahrungen in der Einbeziehung von erwachsenen Geschwistern von Betreuten gemacht werden, die sich in der Phase der Loslösung vom Elternhaus als Verbindungsglieder zwischen der Einrichtung und den Eltern angeboten haben.
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Der Berater— Person und Funktion
Der Berater im mFG bewegt sich in der Spannung zwischen klientzentrierter Gesprächsführung und direktiver Praxisanleitung. Die Ausprägung und der Einsatz dieser Arbeitsansätze hängt im wesentlichen von den Mitarbeitern ab. Bei einer gut funktionierenden Gruppe wird die Rolle des Beraters eher in der Moderation und in der Beantwortung gezielter fach- und fallspezifischer Fragen bestehen. Entscheidungen und Vorgehensweisen entwickeln sich in der Gruppe und Verantwortung für bestimmte Aufgaben werden von den Mitarbeitern selbst übernommen. Die Mitarbeiter unterstützen sich gegenseitig und gehen auch bei Konflikten offen miteinander um. Der Berater gibt Rückmeldung über die Kompetenz der Gruppe und„macht sich überflüssig‘‘.
Wie die Praxis zeigt, ist jedoch vom Berater meist mehr zu leisten: Er sollte derjenige sein, der den„roten Faden“ im Hinterkopf hat und damit das Gespräch strukturiert. Er bringt Informationen ein, stellt eigene Beobachtungen und diagnostische Ergebnisse vor. Mit seiner Hilfe wird die Beobachtung intensiviert— evtl. erstellt er für den Einzelfall gezielte Beobachtungsbögen, die im nächsten Fallgespräch ausgewertet werden— und durch sein Hinterfragen wird deutlicher zwischen Beobachtung und Interpretation unterschieden. Durch sein gezieltes Fragen und nichtwertendes Annehmen fördert er das „ungefilterte‘‘, d.h. ehrliche und echte Aussprechen von Situationen, Empfindungen und Reaktionen der Mitarbeiter. Hier ist der Wunsch nach positiver Selbstdarstellung, auch Gefühle der Scham oder des Unvermögens bei den Mitarbeitern besonders in Krisensituationen zu berücksichtigen, die alle eine realistische Beschreibung verändern können. Eine verstehende und grundsätzlich wertschätzende Einstellung des Beraters kann nach und nach dazu führen, daß die Mitarbeiter auch untereinander offener und echter werden.
Beratung durch Vorgesetzte— geht das?
In großen Einrichtungen wird unterschieden zwischen Vorgesetzten, d.h. Personen mit Leitungsfunktion und den „Stabsstellen‘“(begleitende, therapeutische, gruppenübergreifende oder komplementäre Dienste). Dabei wird davon ausgegangen, daß die Stabsfunktionen außerhalb der hierarchischen Struktur anzusiedeln sei. Dies läßt jedoch außer acht, daß die Rolle des Beraters innerhalb der Einrichtung gerade im Fallgespräch deutlich zutage tritt. „Den Rollenkonflikt— als Berater auf derselben Ebene wie die Beratenen zu stehen und doch übergeordnet zu sein— kann er(der Berater) ohnehin nicht umgehen.“(Klauß, S. 24). Für die Durchführung eines mitarbeiterzentrierten Fallgesprächs ist nicht die Stellung in der Hierarchie der Einrichtung ausschlaggebend, sondern die Frage, ob der Aufbau einer Vertrauensbasis zwischen Gruppe bzw. Mitarbeiter und Berater möglich ist.;
Das Risiko, daß ein Fallgespräch beim organisatorischen oder bei Entscheidungsdiskussionen„hängen“ bleibt, ist gegeben, wenn der Berater eine leitende Funktion hat. Auf der anderen Seite kann die Motivation der Mitarbeiter, im Fallgespräch mitzuarbeiten und sich einzubringen, sinken, wenn sie der Ansicht sind, der Berater hätte keinen Einfluß auf Entscheidungen innerhalb der Einrichtung.
Wenn der Berater seine Fachkompetenz in das Gespräch einbringt und seine leitende Funktion nutzt, um Entscheidungen und Entwicklungen, die im Fallgespräch erarbeitet wurden, innerhalb der Einrichtung umzusetzen, wirkt dies auch vertrauensbildend.
Der Berater muß außerdem mit der Polarität, gleichzeitig bestimmte Ziele für den Behinderten zu verfolgen und die Persönlichkeiten, die Fähigkeiten und Grenzen der Mitarbeiter in der Arbeit zu berücksichtigen, umgehen. Hier gilt, für die heilpädagogische Arbeit wie für die Beratung, das Prinzip des Dialogs. Die Zielsetzung für den Behinderten muß den Möglichkeiten des Mitarbeiters und der
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVI, Heft 4, 1990