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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Klaus Esser ­

und als Entlastung des Beratenen durch­aus ihren Zweck erfüllen.*

Machtkampf

Eine häufige Störung tritt dann ein, wenn einer der Beteiligten mit einem vorge­faßten Ergebnis ins Fallgespräch geht, daß er jedoch nicht zu Beginn mitteilt (z.B. die Gruppe hat beschlossen, A. muß verlegt werden, oder der Berater hat beschlossen, daß die Gruppe in ei­ner bestimmten Art und Weise vorzu­gehen hat). In dieser Situation ist das Fallgespräch als Beratung wertlos und wird zum reinen Entscheidungs-Instru­ment. JedePartei will der anderen beweisen, daß sie recht hat der Be­hinderte bleibt außen vor.

Gruppendruck

Es gibt innerhalb des Mitarbeiterteams bzw. zwischen Mitarbeiter und Grup­penleiter verschiedene Mißverständnisse oder ungeschriebene Regeln, die einen Beratungsprozeß beeinflussen: Wenn die Gruppe sehr einheitlich auftritt, die Mit­arbeiter sich gegenseitig fortwährend un­terstützen und bekräftigen und Wider­sprüche, konträre Eindrücke und nega­tive Aussagen zum eigenen Betreuerver­halten nicht vorkommen, dann kann das Mißverständnis bestehen, daß das Fall­gespräch zur Rechtfertigung bzw. Selbst­darstellung der Gruppe dient. Probleme im Gruppenteam können hier die Ur­sache sein, die nicht nach außen dringen sollen. Gruppendynamische Probleme können im mFG jedoch nicht bearbeitet werden.

Angst

Bei dergrauen Maus, die sich an Be­sprechungen nicht aktiv beteiligt, kön­

* Andere sind eher einseitig und führen zu Verwirrungen und Störungen, die ange­sprochen und evtl. sogar ausgeräumt wer­den können.

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Das mitarbeiterzentrierte Fallgespräch

nen verschiedene Ursachen zugrunde liegen:

Angst vor Bewertung durch die eigene Gruppe im Sinne des Gruppendrucks

Angst vor Bewertung durch den Be­rater;

persönliche Unsicherheit, sich in ei­nem größeren Kreis zu äußern.

Diese und andere Störungsmomente ver­langen ein sensibles Wahrnehmen und Reagieren des Beraters, der von Situation zu Situation entscheiden muß, ob er ak­tiv werden soll oder nicht. Das Einbrin­gen des eigenen Empfindens, das Anspre­chen der Metakommunikationsebene, das Fördern des Äußerns von Störungsanzei­chen und die Unterstützung der Schwä­cheren Gruppenmitglieder sind einige der Interventionsmöglichkeiten des Beraters.

Andere Beratungsformen

Supervision

Im Sinne einer Praxisberatung, die den in der praktischen Arbeit stehenden Fachleuten hilft, mit Schwierigkeiten und Problemen in ihrer Arbeit besser umgehen zu können, kann das mFG durchaus als Supervision angesehen wer­den. In der Teamberatung hat sich jedoch als Supervision eine Beratungsform etabliert, die a. die gruppendynamischen Prozesse innerhalb des Mitarbeiterteams und b. die Konflikte der Gruppe mit an­deren Funktionsträgern(Leitung, Fach­dienste, etc.) und c. die personenbezoge­nen Arbeitshindernisse der Mitarbeiter als Schwerpunkte betrachtet und bear­beitet. Der Berater ist häufig ein von außerhalb der Institution kommender Supervisor. Für das mFG ist dagegen ein institutionsinterner Berater sinnvoll, da er die Möglichkeit haben sollte, den Fall* zu kennen und über die Einzel­heiten der Arbeitssituation und des Falles bescheid wissen sollte. Durch die Festlegung des Beratungsschwerpunktes auf den Fall, an dem sich der Gesprächs­verlauf orientiert, ist eine Bearbeitung der 0.g. Konflikte und Probleme ausge­schlossen. Allerdings sind Überschnei­

dungen unvermeidbar, denn der Mitar­beiter ist in seiner Person genausowenig in Teile zerlegbar wie der betroffene Be­hinderte.

Eine gleichzeitige Inanspruchnahme von Supervision und mFG durch ein Mitar­beiterteam schließt sich daher nicht aus, sondern sollte im Interesse der Wohn­gruppenteams und ihrer Betreuten liegen.

Interdisziplinäres Fallgespräch

Die Notwendigkeit der Zusammenarbeit derprofessionellen Teilsysteme(Speck 1988, S. 413423) ist unbestritten. Die Fachleute mit ihren unterschiedlichen Erklärungsmodellen und Handlungsan­sätzen beziehen sich alle auf eine Person: den Behinderten. Im interdisziplinären Fallgespräch soll ein partnerschaftlicher Austausch dieser Teilsysteme unterein­ander erfolgen. Beteiligte können sein: die Mitarbeiter der Wohngruppe, der Arzt, bzw. Facharzt, der Psychologe, verschiedene beteiligte Therapeuten(Lo­gopäde, Beschäftigungstherapeut, Moto­pädin, Krankengymnast, etc.), Gruppen­leiter der Werkstatt für Behinderte und alle weiteren Personen, die auf professio­neller Grundlage mit dem Behinderten befaßt sind. Im Rahmen zeitlich be­grenzter klinischer Behandlungen inner­halb einer klar definierten hierarchischen Struktur mag diese Gesprächsform ihren Platz haben. Außerhalb des medizini­schen Behandlungssystems überwiegen dieSchwierigkeiten der interdisziplinä­ren Verständigung, die Speck(1988) so eindrucksvoll geschildert hat.

Die so offensichtlich notwendige Zu­sammenarbeit im Interesse der Betrof­fenen bleibt ein seltener Idealfall, die Hindernisse der professionellen Koope­ration überwiegen. Diejenigen, die Bera­tung suchen und fachliche Unterstützung ihrer alltäglichen Arbeit, die Wohngrup­pen, besitzen bedauerlicherweise selten genug die Souveränität, sich als gleich­berechtigte Fachleute gegenüber den meist höher qualifizierten Disziplinen darzustellen. Diese lassen es ihrerseits häufig an Offenheit und Diskussions­bereitschaft fehlen. So kommt es, daß ein interdisziplinäres Fallgespräch, wenn

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVI, Heft 4, 1990