Zeitschrift 
Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
165
Einzelbild herunterladen

es überhaupt zustande kommt, entwe­der zur gestelzt-theoretischen Fachdis­kussion verkommt oder zum Selbstdar­stellungs-Ritual ausartet. Schwäche zei­gen und Grenzen offenlegen ist immer noch ein Makel im fachlichen Aus­tausch auch derjenigen, die sich für Schwache und Grenzfälle einsetzen.

Die Kooperation der verschiedenen Disziplinen ist unumstritten wichtig und notwendig und druch nichts zu ersetzen. Auf dem Hintergrund des hier dargestellten mFG halte ich es für fruchtbarer, im Rahmen dieser Beratungsform die Erwartungen und Fragestellungen an den Fachmann(z.B. Neurologen) zu besprechen und vorzu­formulieren und ihn dann zu Rate zu ziehen. Seine Erkenntnisse(z.B. Unter­suchungsergebnisse, Medikationen) kön­nen dann ins mFG eingebracht werden. Bei Unklarheiten kann der Betreffende auch in das mFG einbezogen werden. In dieser Situation wird die Wohngruppe als verantwortliche Einheit unterstützt und der Fachmann kann und muß sich intensiv mit der Fragestellung befassen und sich verständlich machen.

Anthropologische Aspekte in der Praxis

Das Bild vom Menschen und die Rolle des Behinderten darin zeigt sich nicht in der Konzeption einer Einrichtung, son­

Literaturverzeichnis

Klaus Esser ­

dern in der alltäglichen Praxis der Be­treuung und Begleitung. Jeder einzelne Mitarbeiter trägt mit seiner Motivation, seiner Haltung und seinen Einstellungen dazu bei. Damit entscheidet er, ob die anthropologisch-ethischen Grundaussa­gen der Institution umgesetzt werden, ob sie für den Behinderten sichtbar und spürbar werden.

Die Gretchenfrage der Behindertenar­beit darf nicht den schönen, entfernten Fortbildungsseminaren und Hochglanz­prospekten überlassen werden. Akzep­tieren wir das Abweichende, das Un­sichere, das Unvollkommene, das Behin­derte bei uns und anderen als grundlegen­den Bestandteil des Menschen oder versu­chen wir es auszumerzen, wegzumachen, zu vertuschen? Können wir Schwäche und Hilfebedürfnis als menschlich-sozia­len Wert erfassen, uns unsere Hilflosig­keit zugestehen?

Die Trennung zwischen uns und dem behinderten Menschen verhindert Inte­gration und Normalisierung. Wir heben die Trennung nicht auf, indem wir Mau­ern einreißen. Die Trennung beginnt im Kopf und sie endet auch dort. Aus diesem Grund müssen bestimmte Fragen gestellt und immer wieder neu beantwor­tet werden: Welches pädagogische oder therapeutische Ziel definieren wir für unsere Arbeit und damit für den Betreu­ten? Wer legt das Ziel fest? Anpassung (an was?), Herstellung oder Wiederher­stellung(wie weit, wo ist die Grenze?), Abbau von störendem Verhalten(wen

Das mitarbeiterzentrierte Fallgespräch

stört es?). Ist die Korrektur des anderen nicht immer ein Eingriff in seine Persön­lichkeit? Die Hilflosigkeit der pädagogi­schen Ansätze wird besonders offensicht­lich bei den Fragen, ab wann der geistig­behinderte Mensch zum Erwachsenen wird und mit welcher Zielsetzung bei den Schwerst-Mehrfachbehinderten ge­arbeitet wird. Was tun wir, wenn Förde­rung und Therapie nicht mehr greifen, ausgereizt sind und der Mensch trotz­dem nicht in das System paßt? Die The­rapie hört auf aber der Mensch lebt weiter! Woher nimmt der einzelne Mit­arbeiter die Kraft, trotzdem weiterzu­machen?

Auch diese Fragen, die ebenso das täg­liche Handeln betreffen und beeinflus­sen wie die konkreten Probleme, haben in der Beratungspraxis des mFG ihren Platz.

Je mehr hingegen die personale Bedeu­tung einer Behinderung das Blindsein, nicht die Blindheit; das Geistigbehindert­sein, nicht die Oligophrenie ins Zen­trum rückt, umsomehr hätte sich eine Pädagogik des Herstellens und Wieder­herstellens, des Machens und der Ma­chenschaften, des Werkens und der selbstredend Guten! Werke zu wan­deln(besser: den Sprung zu wagen) in eine Pädagogik der gemeinsamen Da­seinsanalyse und Daseinsgestaltung, der personalen Anteilnahme und des Anteil­nehmenlassens.(E.E. Kobi, 1985, S. 100).

Kobi, E.E.(1980). Heilpädagogik als Dialog. In Alois Leber(Hrsg.) Heilpädagogik. Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft, 6193.

Kobi, E.E.(1985). Heilpädagogik von gestern: heute?. In: Bundesfach­gruppe der Heilpädagogen im BSH 1986(Hrsg.). HEILPÄDAGO­GIK HEUTE: Aufgaben Veränderungen Anforderungen, Bericht der 18. Fachtagung der Bundesfachgruppe der Heilpädagogen im BSH vom 22. bis 24. Nov. 1985. München 92-113.

Watzlawik, P.(1969). Menschliche Kommunikation. Bern, Stuttgart, Wien: Verlag Hans Huber.

Rotthaus, W.(Hrsg.)(1987). Erziehung und Therapie in systemischer Sicht. Dortmund: Verlag modernes lernen.

Balzer/Rolli(1975). Soziotherapie mit Eltern Behinderter. Weinheim: Beltz Verlag. 140142.

Anschrift des Verfassers:

Dipl. Heilpäd. Klaus Esser Breslauer Str. 56 D-4056 Schwalmtal 1

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVI, Heft 4, 1990

Klauß, T.(1987). Verwahren oder fördern? München, Basel: Ernst Reinhard Verlag.

Rogers, C.R.(1972). Die nicht-direktive Beratung. München: Kindler.

Weinberger, S.(1988). Klientenzentrierte Gesprächsführung. Wein­heim: Beltz. 3. Aufl.

Bach, H.(1987). Grundlagen der Förderung behinderter Erwachsener unter pädagogischem Aspekt. In Bundesfachgruppe der Heilpäd­agogen im BSH 1987(Hrsg.). HEILPÄDAGOGIK HEUTE: Theo­rie und Praxis heilpädagogischer Arbeit mit jungen Erwachsenen, Bericht der 20. Fachtagung der Bundesfachgruppe der Heilpädago­gen im BSH vom 29. bis 31. Mai 1987. München 18-32.

Junglas, J.(1990). Psychische Resiken geistig behinderter Kinder und Jugendlicher. Geistige Behinderung, 2/90, 9499.

Speck, O.(1987). System Heilpädagogik. München, Basel: Reinhard.

165