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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Individuelle Verhaltensdisposition

geistigbehinderter Kinder und

familiäre Belastung

Von Klaus Sarimski und Peter K. Warndorf

Die subjektiv erlebte Belastung, die Eltern behinder­ter Kinder empfinden, hängt nicht nur von der Art und Schwere der Behinderung ab. 35 geistigbehin­derte Kinder im Vorschulalter wurden untersucht. Ihre Mütter füllten den ‚‚Toddler Temperament Questionnaire und einen Fragebogen zur allgemei­nen Belastung im Alltag aus(Questionnaire on Resources and Stress-short form). Korrelations­und Regressionsanalysen zeigten, daß die subjektiv erlebte Belastung der Eltern auch in bedeutendem Maße abhängt von individuellen Verhaltensdisposi­tionen wie der Ausdauer, Beachtung von Reizen oder Intensität von Reaktionen,

The amount of stress experienced by parents of handicapped children relates to more factors than severity of child handicap. 35 mentally retarded pre­school children were examined. Their mothers com­pleted theToddler Temperament Questionnaire and theQuestionnaire on Resources and Stress­short form. Correlations and regression analysis show a significant relation between amounf of sub­jective stress and temperament traits as persistence, distractability and intensity of reactions.

Einleitung

Die Frühbehandlung behinderter Kinder befindet sich in einer Übergangsphase. In den USA, England und Deutschland wurden in den letzten zwanzig Jahren Förderprogramme etabliert, bei denen die Aneignung von Fähigkeiten, die sich bei nicht-behinderten Kindern quasi von allein entwickeln, im Mittelpunkt der Bemühungen stand. Die Eltern wurden angeleitet, zu Hause Übungen mit den Kindern in strukturierter und intensiver Form durchzuführen.

Die Erfahrungen mit diesen Modellen haben vielerorts zur Kritik an der ihnen zugrundeliegenden Orientierung an der Entwicklungsnorm und der Einbindung der Eltern in die Rolle eines Ko-Thera­peuten geführt. Qualitative Merkmale der Auseinandersetzung des Kindes mit seiner Umwelt und die Bewältigung der chronischen Belastung, die das Leben

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mit einem behinderten Kind für die Familie mit sich bringt, blieben dabei außeracht. Diese seien aber langfristig für eine möglichst günstige Entwicklung des Kindes und seine soziale Integration von größerer Bedeutung als kurzfristige Beschleunigungen seiner Entwicklung durch Übungsprogramme. Im Rahmen dieser Erweiterung der Konzeption zu umfassenderen familienorientierten Hil­fen kam es zu einigen Untersuchungen über die Rolle individueller Verhaltens­dispositionen behinderter Kinder und Bedingungen für eine stärkere oder ge­ringere Belastung der Familie.

Subjektiv erlebte Belastung

Das Leben mit einem behinderten Kind wird von den Familien häufiger als be­lastet erlebt als das Leben mit einem

gesunden kleinen Kind. Das zeigen em­pirisch-statistische Erhebungen(Fried­rich& Friedrich 1981; Dyson& Fewell 1986) ebenso wie zahlreiche qualitative Berichte, die über Interviews der Eltern behinderter Kinder gewonnen wurden (z.B. Fröhlich 1986, Thurmair 1990). Wenn auch manchen Familien ein be­friedigender Anpassungsprozeß an die Schwierigkeiten gelingt, so führt in an­deren Fällen die chronische Belastung zu schweren Störungen der Partner­schaft, des psychischen Wohlbefindens aller Familienmitglieder sowie ihrer kör­perlichen Gesundheit, was sich wiede­rum ungünstig auf die Qualität der Inter­aktion mit dem Kind und damit indirekt auf seine Entwicklung auswirkt.

Der Grad der subjektiv erlebten Bela­stung hängt dabei zu einem Teil ab von spezifischen Aspekten der Behinderung des Kindes, z.B. dem Schweregrad und der Art der Behinderung. So stellt die

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVI, Heft 4, 1990