Blindheit eines Kindes oder das Vorliegen eines frühkindlichen Autismus eine besonders schwere Ausgangssituation dar (Fraiberg 1977, Holroyd& McArthur 1976).
Die soziale Reaktionsbereitschaft eines Kindes und sein Verständigungsvermögen spielen darüber hinaus wohl eine große Rolle für das Gelingen des Anpassungsprozesses(Beckman 1983, Blacher et al. 1987). Frey et. al.(1989) untersuchten 48 Ehepaare mit kleinen behinderten Kindern mehrmals innerhalb von zwei Jahren und fanden, daß die Entwicklung des Kommunikationsvermögens der Kinder am stärksten den Anpassungsprozeß und die Güte des Familienklimas beeinflußte.
Weitere bedeutsame Determinanten des psychischen Wohlbefindens der Mütter und der subjektiv erlebten Belastung, bzw. Depression sind besonders hohe Anforderungen an die tägliche Pflege des Kindes(z.B. bei Kindern mit Sondenernährung) und bereits in diesem frühen Alter auftretende schwere Verhaltensproblemen wie geringe Lenkbarkeit, aggressives, autoaggressives oder stereotypes Verhalten(Beckman 1983, Gallagher et al. 1983). Zur Bedeutung anderer Verhaltensdispositionen wie hohe Irritierbarkeit, exzessives Schreien, Störungen der Rhythmizität(z.B. als Schlafstörungen) liegen noch kaum empirische Untersuchungen vor.
Eine mindestens ebenso große Rolle spielen aber die Resourcen des Einzelnen und der Familie, mit Belastungen fertigzuwerden. Dazu gehören individuelle Überzeugungen zur Kontrolle über Ereignisse im eigenen Leben und Herangehensweisen an Krisen, Qualität der partnerschaftlichen Beziehung und des Familienklimas, ökonomische und materielle Lage und Einbettung in ein soziales Netzwerk aus erweiterter Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft und Hilfseinrichtungen(Friedrich et al. 1985, Gowen et al. 1989).
Klaus Sarimski& Peter K. Warndorf- Verhaltensdisposition geistigbehinderter Kinder
Individuelle Verhaltensdispositionen behinderter Kinder
Individuelle Verhaltensdispositionen behinderter Kinder werden in der Regel unter dem Begriff der„„Temperamentsmerkmale“ behandelt. Die meisten Studien dazu beziehen sich auf Kinder mit Down-Syndrom; das wohl deshalb, weil diese Behinderung gut beschrieben ist und früh erkannt werden kann und in der älteren Literatur diesen Kindern ein besonderes Persönlichkeitsstereotyp (freundlich, einfach zu lenken, gefällig) zugeordnet wurde, das zur Überprüfung reizte.
Rothbart& Hanson(1983) verglichen die Temperamentseinschätzungen, die Eltern von fünfzehn Kindern mit DownSyndrom im„Infant Behavior Questionnaire‘“ mit sechs, neun und zwölf Monaten vornahmen, mit denen einer Stichprobe gesunder Kinder. Sie wurden in ihrer motorischen Entwicklung und der Häufigkeit des Lautierens, aber auch in der Häufigkeit des Lächelns und Lachens niedriger eingestuft. Ängstlichkeit war stärker ausgeprägt, die visuelle Orientierung auf einen Reiz hielt länger an; für. das Aktivitätsniveau, die Toleranz für Einschränkungen und die Leichtigkeit, mit der die Kinder zu beruhigen waren, fanden sich keine Unterschiede. Bridges& Cicchetti(1982) kamen bei der Verwendung des„Infant Temperament Questionnaire“(Carey& McDevitt 1978) zu ganz ähnlichen Ergebnissen.
Ein Teil der Auffälligkeiten sind wohl Ausdruck der allgemeinen Retardierung der Kinder. Ein spärlicheres affektives Ausdrucksverhalten und eine geringere Bereitschaft, sich Neuem zu nähern, dürften besondere Schwierigkeiten für die Eltern bedeuten, an die sie sich anpassen müssen, um dennoch harmonische und befriedigende Interaktionen entstehen zu lassen.
Aus den vorliegenden Studien läßt sich jedenfalls weder das positive Persönlichkeitsstereotyp von Kindern mit DownSyndrom bestätigen noch die gegenteilige Annahme, daß die Kinder von ihren Eltern als gänzlich anders oder schwieriger im Vergleich zu nichtbehinderten Kindern erlebt werden.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVI, Heft 4, 1990
In heterogenen Stichproben behinderter Kinder wurde bisher ausschließlich der „Infant Temperament Questionnaire‘ eingesetzt. Heffernan et al.(1982) berichteten über ihre Ergebnisse bei 57 Kindern mit unterschiedlichen neuropädiatrischen Diganosen(u.a. Cerebralparesen, Anfallsleiden, Down-Syndrom). Die Gesamtgruppe unterschied sich von nicht-behinderten Kindern durch ein niedrigeres Aktivitätsniveau,kürzere Aufmerksamkeitsspannen, geringere Bereitschaft zur Annäherung an neue Reize und eine höhere Reizschwelle. Wiederum fanden sich weder spezifische Besonderheiten bei Kindern mit Down-Syndrom noch wurden mehr Kinder als in der Normalpopulation als schwierig eingeschätzt. Greenberg& Field(1982) kamen für Kinder mit Down-Syndrom und Kinder mit allgemeinem Entwicklungsrückstand zum gleichen Ergebnis, während Kinder mit Cerebralparesen oder einer Hör- bzw. Sehschädigung häufiger als schwierig erlebt wurden.
Eine eigene Studie mit dem ‚„Infant Behavior Questionnaire“ an 25 geistigbehinderten Kindern mit unterschiedlicher neuropädiatrischer Diagnose und einem Entwicklungsstand unter einem Jahr(Sarimski& Warndorf 1988) zeigte bei großen individuellen Schwankungen im Urteil der Mütter keine wesentlichen Gruppenunterschiede im Ausprägungsgrad der dort erfaßten Verhaltensmerkmale gegenüber nicht-behinderten Kindern und einer Gruppe mit DownSyndrom. Es fand sich lediglich ein signifikant niedrigeres Aktivitätsniveau. Dabei kann es sich jedoch um ein methodisches Artefakt handeln, da die Gruppe zahlreiche cerebralparetische Kinder enthielt, der Fragebogen aber in Originalversion angeboten wurde ohne behinderungsspezifische Itemmodifikationen.;
An einer neuen Stichprobe etwas weiter entwickelter Kinder sollen nun weitere Beobachtungen zur mütterlichen Einschätzung individueller Verhaltensmerkmale geistigbehinderter Kinder berichtet und ihr Zusammenhang zum Grad der subjektiv erlebten Belastung der Mütter untersucht werden.
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