Klaus Sarimski& Peter K. Warndorf- Verhaltensdisposition geistigbehinderter Kinder
Stichprobe
In die Stichprobe wurden 35 Kinder aufgenommen in der Reihenfolge ihrer Anmeldung auf der Eltern-Kind-Station des Kinderzentrums München(Ltg. Prof. Dr. v. Voss). Kriterien für die Berücksichtigung waren: a) organische Entwicklungsstörung vom Grad einer geistigen Behinderung, b) EQ unter 60, EA zwischen 9 und 30 Monaten, c) Fehlen weiterer schwerer Behinderungen, z.B. Sinnesschädigungen, d) Bereitschaft der Mütter zur Teilnahme.
Die neuropädiatrischen Diagnosen waren unterschiedlich, z.B. Down-Syndrom, andere Dysmorphie-Syndrome, perinatale Hirnschädigung. Das mittlere Lebensalter der Kinder betrug 52.2 Monate(s= 16.3), das Entwicklungsalter 19.6 Monate(s= 6.2), der Entwicklungsquotient 39.0(s= 12.9). Die beiden letzten Werte wurden gemittelt aus den Ergebnissen der Münchener Funktionellen Entwicklungsdiagnostik in den Skalen Handmotorik, Perzeption, Sprachverständnis und Sprachproduktion.
Untersuchungsverfahren
Die Mütter wurden nach der Untersuchung des Kindes gebeten, zwei Fragebogen auszufüllen zu individuellen Verhaltensmerkmalen des Kindes und zur subjektiv erlebten familiären Belastung. Als Beurteilungsmaß für individuelle Verhaltensdispositionen wurde der„Toddler Temperament Questionnaire‘‘(TTQ, Fullard et al. 1978) benutzt, die dem Entwicklungsniveau der untersuchten Kinder gemäße Version des ITQ für 1—3jährige Kinder.
Dieser Fragebogen wurde für nicht-behinderte Kinder entwickelt und erfaßt in 90 Items neun Temperamentsdimensionen, die von Thomas& Chess(1977) unterschieden wurden: Aktivität, Rhythmizität, Annäherungsverhalten, Anpassungsfähigkeit, Intensität der Reaktion, Stimmung, Ablenkbarkeit, Reizschwelle und Ausdauer. Die Beurteilung erfolgt auf einer sechsstufigen Skala. Höhere Bewertungen bedeuten negative Ausprä
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Tab. 1: Verteilung der Entwicklungsdaten und der Rohwerte im TTQ und dem QRS(Mittelwerte und Standardabweichungen; Normalpopu
lation in Klammern)
Lebensalter(Monate)
Entwicklungsalter(Monate)
Entwicklungsquotient Aktivität(TTQ 1) Rhythmizität(TTQ 2) Annäherung(TTQ 3)
Anpassungsfähigkeit(TTQ 4)
Intensität(TTQ 5) Stimmung(TTQ 6) Ausdauer(TTQ 7)
Ablenkbarkeit(TTQ 8)
Reizschwelle(TTQ 9)
familiäre Belastung(FI) pessimistische Einstellung
(F II)
Verhaltensauffälligkeiten
des Kindes(F III)
(körperliche) Einschränkungen
des Kindes(F IV)
gungen des entsprechenden Merkmals. Für jede dieser Dimensionen liegen Mittelwerte und Standardabweichungen aus einer Stichprobe von gesunden Kindern Vor. Einige Beispielitems: (8) Das Kind ist empfindlich nach dem Aufwachen(schaut abweisend, jammert, weint) 1.:2:3 4 5:6 (24) Das Kind läuft herum, wenn es an neuen Orten ist und erkundet sie 123456 (41) Das Kind schaut weiter in ein Bilderbuch trotz ablenkender Geräusche (Autohupe, Klingel) 1234576 Als Maß der subjektiv erlebten Belastung wurde eine Kurzfassung des„Questionnaire on Resources and Stress“(QRS, Holroyd 1974) ins Deutsche übersetzt. Dieses Verfahren(auf Wunsch von den Verfassern erhältlich) umfaßt 52 Items und hat in den USA weite Verbreitung in Forschungsarbeiten gefunden. Friedrich et al.(1983) ermitteten befriedigende Werte zur internen Konsistenz und eine vierfaktorielle Struktur des Fragebogens: familiäre Belastung(20 Items), pessimistische Einstellung(11 Items), Verhaltensauffälligkeiten des Kindes(15 Items),(körperliche) Einschränkungen des Kindes(6 Items). Die Bewertung der Items erfolgt als zutreffend oder nicht. Höhere Summenwerte
Mittel s(Mittel s)
52.21 16.25
19.60 6.19
39.02 12.86 3.61.67 3.99.86 2.82.63 2.78 ‚71 3.04.84 2:91 1.04 3.34.81 3.04„79 3.91.66 4.06 ‚82 3.03 39 2.90 ‚65 3.86 ‚1 2.82.75 4.22 73 4.20 13 3.80.80 4.43 87 4.91 3.53 5.60 2.117 5.29 2.05 3.34 1.71
je Faktor dokumentieren größere Probleme in der entsprechenden Beurteilungsdimension.
Die Daten wurden mittels SPSS/PC+ (Version 3.1) ausgewertet. Neben den deskriptiven Maßen wurden Korrelations- und multiple Regressionsanalysen gerechnet. Bei der Regressionsanalyse wurden alle Variablen in einem Schritt in die Regressionsgleichung zur Prädiktion des Belastungsausmaßes einbezogen. Neben den Beta-Gewichten wurden die leichter hinsichtlich der Stärke des Vorhersagebeitrags der einzelnen Variablen interpretierbaren RegressionsStrukturkoeffizienten berechnet(Bortz 1977, Brosios 1988).
Ergebnisse
Die Tabelle 1 zeigt die Verteilung der Rohwerte im Lebensalter, Entwicklungsalter, Entwicklungsquotient, in den neun Dimensionen des„„Toddler Temperament Questionnaire“(TTQ) und den vier Faktoren des„Questionnaire on Resources and Stress‘(QRS). Für die Dimensionen des Temperamentsfragebogens sind zusätzlich in Klammern die Mittelwerte und Standardabweichungen aus der Standardisierungsstichprobe aufgeführt.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVI, Heft 4, 1990