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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Jens Wienhues- Krankenpädagogik

belegter; vgl. Wienhues 1978, 765f.) pädagogischer Einzelinstitutionen in ver­schiedenartigsten medizinischen Einrich­tungen, dem Volksschulwesen(Berlin) oder dem Sonderschulbereich(Baden-W., NRW) zugeordnet, auf der Basis des ge­setzlich geregelten Sonderunterrichts ar­beitend oder als pädagogische Förder­einrichtung, die nicht die Rechtsform einer Schule hatte(Bayern). Diese Situa­tion beruhte nicht zuletzt auf der Tat­sache, daß bei der Neuordnung des Son­derschulwesens durch die KMK Anfang der sechziger Jahre die Krankenhaus­schule zwar zu einem eigenständigen Sonderschultypus deklariert wurde, ihre Vertretung in Theorie und Lehreraus­bildung aber der Körperbehinderten­pädagogik überlassen wurde. Nach dem Conterganschock und dem rapiden An­stieg des Anteils zerebral geschädigter Kinder in den Körperbehindertenschu­len ging deren Interesse an den Kranken­hausschulen jedoch stark zurück.

Krankenpädagogik außerhalb der Orthopädie

Wie oben angeführt, hatten sich neben den orthopädischen Kliniken und Krüp­pelheimen zahlreiche andere Heil- und Kuranstalten entwickelt, in welche auch kranke und schwächliche Schulkinder aufgenommen wurden. In vielen von diesen, wie auch in vielen neugegründe­ten Kinderkliniken sowie im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie(Heilpäd­agogische Heimsonderschulen) wurde Schulunterricht erteilt. In der Regel wa­ren es pädagogisch engagierte Ärzte, wel­che die Lehrer und Erzieher in ihre Kli­niken holten. Letztere hatten allerdings allzuoft als pädagogischeAllround- und Einzelkämpfer* sich und ihre Belange im klinischen Betrieb durchzusetzen, was in vielen Fällen zu Frustration und Resi­gnation führte.

Dieser zahlenmäßig weit größere Zweig der Krankenpädagogik stand mit der Heilpädagogik gar nicht oder nur in sehr loser Verbindung. Seine Klientel kam mehrheitlich aus der Regelschule(wie die Lehrer auch) und kehrte unmittel­bar nach Abklingen der Erkrankung bzw.

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nach Ablauf der Kur wieder in diese zu­rück. Die Unterrichtsarbeit war(und ist bis heute) primär auf die Regelschule, nur in Ausnahmefällen auf die Sonder­schule bezogen.

Vielfach waren die Beziehungen der Krankenpädagogik zur Sozialpädagogik (päd. Interaktionen im außerschulischen Bereich, kurzzeitige päd. Interventionen) viel näher als zur Heil- und Sonderpäd­agogik in deren spezieller Ausprägung in der BRD der sechziger bis achtziger Jahre. Sie blieb einfach übrig, weitge­hend in ihrem Vorkriegsstatus belassen, als Sonder- und Sozialpädagogik sich von Medizin und Theologie zu emanzipieren begannen. Oft als pädagogische Zwerg­einrichtungen, die aber tortzdem als eine Art von integrierten Gesamtschu­len angesehen werden konnten, stan­den die Krankenhausschulen in medi­zinischen Einrichtungen wie lebende Fossilien einem sich grundlegend ver­ändernden Allgemein- wie Sonderschul­wesen gegenüber.

Zeitgeschichtliche Aspekte und der Terminus Krankenpädagogik

In seinem Versuch einer Neubestim­mung der Krankenpädagogik analysiert Theis(1982) die Entwicklung der Kran­kenpädagogik in der BRD der siebziger und achtziger Jahre, soweit sie sich in der sonderpädagogischen Literatur nie­derschlägt.

Der selten hinterfragte Machtanspruch der Medizin und die damit verbunde­nen hierarchischen Strukturen stellen für die Krankenpädagogik schwierige Rahmenbedingungen, gleichzeitig aber auch Chancen dar. Allein ihr Gegen­stand, mehr noch ihre Methoden und Ziele provozieren den Ausbruch ohne­hin vorhandener Konflikte... Ein tra­gendes Element einer Institution ist ihre Beständigkeit. Krankenpädagogik stellt das Bestehende in Frage, und deshalb wird die Klinik zur Ausgrenzung der Krankenpädagogik neigen. Diese tut also gut daran, bewußt ihre intrainsti­tutionelle Position und ihre potentiel­

len innovativen Möglichkeiten gegenein­ander abzuwägen und behutsam an Ver­änderungen mitzuwirken. Sie sollte nicht vor der faktischen Macht der Medizin und der starren Strukturen resignieren und sich weder vorzeitig zurückziehen, noch sich um jeden Preis in die Institu­tion einfügen(Theis 1989, 176).

Diese Analyse trifft nicht nur den Kern der Sache, sondern von ähnlichen Über­legungen waren die Initiatoren der neu­en Krankenpädagogik bei ihren strategi­schen Überlegungen aufgrund ihrer Er­fahrungen mit dem Medizinalsystem aus­gegangen. Sie hatten diese aber nie ver­öffentlicht, weil sie befürchten mußten, im medizinsichen und sonderpädagogi­schen Raum Konterreaktionen zu pro­vozieren. War bis 1978 der BegriffKran­kenpädagogik oder ein Analogon ver­mieden worden, weil durchaus die Ge­fahr gesehen wurde, daß eine zu einer reinenBehindertenpädagogik sich ent­wickelnde Sonderpädagogik diesen Be­reich ausgrenzen könnte, bestand natür­lich in weit stärkerem Maße diese Ge­fahr seitens der Medizin gerade in der Aufbauphase der Schulen in Kinderkli­niken. Da diese Phase jetzt als relativ ab­geschlossen gelten kann, die Kranken­hausschule als institutionalisiert, dürfen diese Gedanken jetzt vielleicht auch öf­fentlich diskutiert werden.

Wie oben für diealte Krankenpädago­gik dargelegt, entsprangen auch die neu­en Initiativen Anfang der siebziger Jahre keineswegs der Heil- und Sonderpädago­gik, sondern in Hannover aus der Schul­und Sozialpädagogik, in Essen(und später in Dortmund) aus Allgemeinpädagogik und Psychologie. Beide Initiatoren ka­men erst nach Abschluß ihrer schulprak­tischen Tätigkeit im Krankenhaus zur Sonderpädagogik und in die Lehreraus­bildung.

Aufgrund eigener Erfahrungen, der Ana­lyse der einschlägigen Literatur, inten­siver Kontakte und Erfahrungsaustausch mit der Vereinigung sozialpädagogischer Mitarbeiter im Krankenhaus, der Arbeits­gruppe der Krankenhauspsychologen im Berufsverband Deutscher Psychologen (vgl. Wienhues 1980, 1981b, 1982a), der AktionsgemeinschaftKind im Kran­kenhaus, mit ausländischen Vereinigun­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVI, Heft 4, 1990