gen(Niederlande, Luxemburg, Schweiz, Schweden, Österreich), kamen sie zu der Erkenntnis, daß in der BRD der Institution Krankenhaus eine andere Institution entgegengestellt werden müsse, um die „Psychosoziale und pädagogische Betreuung“ der Patienten zu verbessern und zu stabilisieren. Persönliche Erfahrungen in der Krankenschwesternausbildung und der Medizinerfortbildung ließen erkennen, daß, aufgrund der spezifischen Präferenzen und Strukturen, eine solche Institution weder innerhalb noch außerhalb des Medizinalsystems der BRD zu entwickeln war.
Als Gegenpol zum Medizinalsystem konnte nur das Schulsystem, und innerhalb desselben nur der definierte Sonderschultypus„Krankenhausschule“ in Frage kommen. Nur das institutionelle Beharrungsvermögen konnte den Ausbau absichern, der im Verbund mit pädagogisch engagierten Ärzten, Schwestern, Therapeuten, Sozialpädagogen und Laienhelfern in Gang gebracht werden sollte.
Zielvorstellungen der neuen Initiative
Die Strategie war mehrschichtig und verfolgte Ziele in verschiedenen Richtungen:
— Im Bereich der bestehenden Krankenhausschulen sollten Kontakte geknüpft, Erfahrungsaustausch, Weiterbildungsmaßnahmen sowie die Lehrerausbildung organisiert, länderübergreifende und internationale Beziehungen gefördert, eine gründliche Bestandsaufnahme erstellt, die Literatur aufgearbeitet und schließlich Forschung und Theoriebildung in Gang gesetzt werden.
— Im Bereich der Sonderpädagogik sollten die Hauptanliegen der Krankenhausschule artikuliert und innerhalb des VDS spezielle Referate auf Bundes-, Länder-(soweit noch nicht vorhanden) und regionaler Ebene installiert werden.
— Im Bereich der Schulverwaltung sollte ein einheitlicher Sonderschultypus (Schule für Kranke) mit eigenen, nicht zu engen Richtlinien in allen Bundesländern durchgesetzt werden.
— Im medizinischen Bereich sollten die Bereitschaft zur Forderung nach neuen Krankenhausschulen durch rege publizistische und Vortragstätigkeit sowie das Verständnis für die Notwendigkeit psychosozialer und pädagogischer Betreuung verstärkt werden.
— Im Bereich der Allgemeinpädagogik, der Sozialpädagogik und in der Öffentlichkeit sollte das Problembewußtsein für die Situation kranker Menschen geweckt werden.
— Die Ausweitung krankenpädagogischer Aktivitäten in den Vorschul- und Erwachsenenbereich sollte einerseits von der Krankenhausschule aus(Schulkindergarten, Sekundarstufe II), andererseits im Verbund mit anderen Berufsgruppen und Laienhelfern erfolgen.
— Die pädagogische Langzeitbetreuung chronisch kranker Schüler sollte gemeinsam mit der Familie, der Heimatschule und der Klinik intensiviert und institutionalisiert werden. Seitens der Sonderpädagogik sollten die Krankenhausschulen die Koordination übernehmen. Keinesfalls sollten für diese zahlenmäßig den Behinderten gleichkommende Gruppe spezielle pädagogische_Sondereinrichtungen angestrebt werden.
Bis zu einem gewissen Grade sind diese Ziele, nicht zuletzt dank dem intensiven Engagements vieler Krankenhauslehrer, inzwischen erreicht worden. Gerade in einigen, medizinisch wie pädagogisch brisanten Bereichen der Pädiatrie(Onkologie, Dialyse) haben sich die Teamarbeit und die multidisziplinäre Zusammenarbeit hervorragend bewährt. In vielen Kinderkliniken gelten die Krankenhausschulen als selbstverständliche, unverzichtbare Bestandteile der Therapie und Betreuung. Wenn der Begriff„„Krankenpädagogik‘“ 1978 eigentlich viel zu früh in der sonderpädagogischen Diskussion auftauchte, so hat sich in der Folgezeit gerade auch an den intensiven Auseinandersetzungen gezeigt(vgl. Oskamp 1989, 40ff.), daß sich die Krankenpädagogik, wenn auch noch nicht institutionell, so doch terminologisch auch in der sonderpädagogischen Theorie und Lehrerausbildung etabliert hat.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVI, Heft 4, 1990
Jens Wienhues- Krankenpädagogik
Die internationale Zusammenarbeit hat im Herbst 1988 mit der Gründung der „European Association of Hospital Pedagogues‘“ in Ljubljana(vgl. Tamble 1989), welche nicht nur die Krankenhauslehrer, sondern alle pädagogisch Tätigen in Kliniken von bisher 19 europäischen Nationen vertritt, einen vorläufigen Höhepunkt gefunden.
Zur Problematik und Abgrenzung des Krankheitsbegriffs
Mit der pädagogischen Analyse des Begriffs„Behinderung“ und seiner durchgängigen Verwendung gelang der Sonderpädagogik weitgehend Emanzipation von der Medizin. Kennzeichnend für die Klientel der Krankenpädagogik ist aber gerade, daß sie in ihrer Mehrheit nicht behindert ist und auch nicht so genannt werden möchte.
Krankheit ist ein Allerweltswort. Wie bei vergleichbaren Wörtern stößt der Versuch einer umgreifenden Definition jedoch auf ungeahnte Schwierigkeiten, besonders dann, wenn Grenzgebiete, wie z.B. Gebrechen, Leiden, chronische Krankheit, psychische/psychosomatische Erkrankungen einbezogen werden sollen (vgl. Wienhues 1979, 25—28).
Geht man vom entsprechenden Gegenbegriff, also von Gesundheit aus, stößt man auf dieselbe Problematik, z.B. bei der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO:„Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheiten und Gebrechen.‘“ Dieser Definition zufolge wäre der größte Teil der Menschheit als nicht gesund zu bezeichnen und folglich potentieller Adressat der Krankenpädagogik. Unter diesem Gesichtspunkt läge dann die Gefahr auf der Hand, der„Nemesis der Medizin‘‘(Hlich), diejenige der Krankenpädagogik folgen zu lassen.
Der Verdacht einer solchen erhärtet sich, wenn Theis(1989, 176) im Anschluß an seine Definition von Krankenpädagogik „die Einbeziehung aller Menschen“ fordert und„auf einen bestimmten Krank
187