Ethik der Heilpädagogik und
das Recht auf Leben
Darstellung der Position Michael Tooleys
Von Christoph Anstötz
Ein Recht auf etwas, so lautet die entscheidende Prämisse der hier vorgestellten ethischen Position von Tooley, kann nur ein Subjekt haben, welches über die Fähigkeiten verfügt, die mit dem in Frage stehenden Recht korrespondierenden Wünsche zu besitzen. Ein Recht auf Leben setzt also die Fähigkeit des betreffenden Subjekts voraus, eine bewußte bzw. selbstbewußte Vorstellung von seiner Existenz in der Zukunft zu besitzen, diese Bedingung ist bei den meisten erwachsenen Menschen, aber auch bei einigen Tieren erfüllt. Wo diese Voraussetzungen des Selbstbewußtseins nicht gegeben ist, wie bei vielen Tieren aber auch bei menschlichen Embryos, Feten, Neugeborenen oder Schwerstbehinderten, kann demzufolge auch ein Recht auf Leben nicht verletzt werden. Für die Heilpädagogik ist es allerdings wichtig festzuhalten, daß es nicht das Recht auf Leben allein ist, welches unsere pädagogische Arbeit mit behinderten und schwerstbehinderten Menschen bestimmt.
A main premise of Michael Tooley’s ethical viewpoint says that having rights require the capacity of having the corresponding desires. So having a serious right to life“presuppose that one is capable of desiring to continue existing as a subject of experience and other mental states”. Most adult humans and some other animals too fulfill this conditions and possess a right to life. Many animals and human embryos, fetes, newborns and severely mentally handicapped lacks the morally relevant self-consciousness and therefore you cannot hurt a right to life in any way. It is important to see, that the right to life is only one and not the single ethical argument in the context of justifying our pedagogical work toward the handicapped people.
Einführung
Man wird die deutschsprachige Heilpädagogik schwerlich von der Anklage der Gleichgültigkeit gegenüber der internationalen Ethikdiskussion und-forschung freisprechen können. Zeitgleich zur Entwicklung unserer Disziplin nach dem Zweiten Weltkrieg wurden dort bereits zentrale behindertenethische Probleme intensiv bearbeitet, ohne daß in unserem Lande davon auch nur die geringste Notiz genommen wurde. Statt in die internationale Debatte einzutreten, hat man es hierzulande vorgezogen, sich gegen Einflüsse von außen abzuschirmen und so etwas wie eine heilpädagogische Provinz zu schaffen mit all den Charakteri
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG
stika, die man mit dem Attribut„PTOvinziell‘‘ zu verbinden pflegt.
Wer für eine rationale Diskussion ethischer Probleme plädiert und sich weigert, sogenannte letzte Prinzipien von einer kritischen Durchleuchtung auszunehmen, dem versucht man mitunter, die Sinnlosigkeit einer oft ja auch recht mühsamen und komplizierten Argumentation vor Augen zu führen. Man quittiert derartige bis zur Wertbasis vorstoßenden Legitimationsunternehmungen mit dem Hinweis, daß es schließlich und letztendlich darauf ankomme, sich um die behinderten Mitmenschen zu kümmern und nicht auf die jeweilige Begründung dafür. Wer so verfährt, macht nur unmißverständlich deutlich, daß er sich seiner
Band XV, Heft 3, 1989
moralischen Überzeugung— die ja nur eine unter anderen ist und zudem einem historisch-kulturellen Wandel unterliegt — so unfehlbar sicher ist, daß er eine Diskussion der letzten Dinge nicht nur für überflüssig oder unwillkommen, sondern sogar für gefährlich hält, sofern sie nicht bestätigender, sondern kritischer Natur ist. Wenn man sich aber erst einmal klar gemacht hat, daß sich dahinter eine ausgesprochen dogmatische Grundhaltung verbirgt, die nicht dem Inhalt nach, wohl aber der Qualität nach sich prinzipiell in nichts von dem Dogmatismus eines Nationalsozialismus unterscheidet, wird das Risiko dieser Art und Weise der Behandlung und Begründung ethischer Entscheidungen offenkundig. Wer eine ra
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