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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Töten und Tabu

Von Hansjosef Buchkremer

Der Beitrag erwidert die Position Tooleys, wie An­stötz sie darstellt. Ausgehend von der Prämisse, daß das Leben ein prämoralisches Gut ist, vertrete ich den Standpunkt, daß es nicht in die Rechtsgeschäfte menschlicher Vereinbarungen einbezogen werden darf: Menschen kommt es nicht zu, über einRecht auf Leben anderer zu richten,

Nachfolgend untersuche ich,

welche Motive trotzdem Menschen bewegen kön­nen, andere zu töten und über Tötung anderer zu philosophieren und

worauf das Ethos, Menschenleben zu retten, sich paläoanthropologisch gründet.

Ich komme zu dem Schluß, daß wir kulturübergrei­

fend und menschheitsweit auf ein totales Tabu der

Menschentötung hinwirken müssen, auf das ein öko­

logisches Tabu des Tier- und Pflanzenschutzes auf­

bauen kann.

This contribution responds to Tooleys position as it

is represented by Christoph Anstötz. Proceeding

from the basic presupposition that life is a premoral

good. I take the view, that it must be excluded from

all legal matters of human agreements. It is not for

mankind to judge about theright of Life of

others.

Within the following I investigate

what motives still make people kill others or phi­losophy about the killing of others and

where the palaeoanthropological roots of the ethic of saving human life proceed from.

I came to the conclusion that we will have to devel­

op towards a total taboo of extinguishing human

life encroaching on all cultures and the whole of

human kind. On this an ecological taboo could be

based to provide animals and plants.

Einleitung: Gegensätzliche Prämissen

Bei den nachfolgenden Zeilen handelt es sich um die Erwiderung auf den Beitrag von Christoph AnstötzEthik der Heil­pädagogik und das Recht auf Leben..., wie er in diesem Heft ahgedruckt ist.

In ihm bringt Anstötz die Position Too­leys zur Darstellung. Dabei ist seine Vor­gehensweise nicht durchgängig deskrip­tiv. SeineAnklage der deutschsprachi­gen Heilpädagogik wegen Gleichgültig­keit gegenüber der internationalen Ethik­diskussion im allgemeinen und die herbe Abfuhr der Stellungnahmen Stolks (1987) auf der einen, die faszinierte Wie­dergabe Tooleys mit rechtfertigendem Tenor auf der anderen Seite lassen mich zu dem Eindruck kommen, daß er die Position Tooleys selbst vertritt. Ich möchte daher vorweg bemerken ‚daß ich vermute, mit meiner Entgegnung nicht

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG

allein Tooleys Stellungnahme zu erwi­dern, sondern implizit auch die Anstöt­zens.

Wie bei allen Veröffentlichungen Anstöt­zens besticht mich die klare und ver­ständliche Diktion. Und wie immer bringt das Sausen seines angriffigen Wortfloretts eine Spannung über, die vor Ermüdung schützt. Ob sie immer heilpäd­agogischen Zielsetzungen dient, will ich dahingestellt sein lassen. Hier jedenfalls hat sie, was meine Person betrifft, den Erfolg, mich zu einer schriftlichen Stel­lungnahme in SachenEthik der Heil­pädagogik... zu veranlassen. Diese, das sei vorweg gesagt, ist kontrovers zu Too­ley. Sie kritisiert ihn und kommt ange­sichts einer anderen Art der Setzung auch inhaltlich zu entgegengesctzten Ergebnis­sen:

Tooleys Argumentation heißt gemäß Anstötz,daß eine notwendige Bedin­gung, um ein Recht auf Leben geltend

Band XV, Ileft 3, 1989

machen zu können, kurz gesagt die ist, über ein entsprechendes Selbstbewußt­sein zu verfügen.

Meines Erachtens stecken in dieser Set­zung zwei Fehler. So exakt die auf sie folgenden Schlüsse auch immer sein mö­gen, es verhält sich wie bei einer langen Knopfreihe, bei der der erste Knopf im falschen Loch sitzt: Die Reihe bleibt bis zum Ende falsch geknöpft, und das in­haltliche Ergebnis, Schwerstbehinderten, Föten und Säuglingen das Recht auf Le­ben abzusprechen, ist rational falsch.

I. Über das Leben als prämoralisches Gut

Das Leben ist kein vertragliches Rechts­gut:

- es gibt keine Vertragspartner es gibt keine Richter

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