Ostrazismus als Preis von Vergemeinschaftung?
Probleme der„Randgruppenbildung“
aus experimentalbiologischer
und aus soziokultureller Perspektive
Von Ingrid Blanke
In Gruppenbildungsprozesse(als Vergemeinschaftungsprozesse) gehören auch Ausgrenzungsphänomene hinein. Ausgrenzung kann zur Stabilisierung der Gruppenordnung beitragen. Die Bildung von sozialer Randständigkeit ist nicht einheitlicher Art, sondern liegt auf verschiedenen Realitätsebenen und ist daher auch Gegenstand unterschiedlicher Wissenschaften. In neuerer Zeit ist an die Erforschung sozialer Ausgrenzungsphänomene wieder von biologischer Seite herangegangen worden, und zwar aufgrund des Studiums tierischen Soziallebens. Ostrazismus zeigt sich schon hier als Ablehnung, Meidung, Ausschluß. Derartiges läßt sich z.B. in Primatengruppen beobachten und(wenigstens teilweise) durch den Rückgriff auf organismische Vorgänge erklären. Deren Erklärungswert ist jedoch aus prinzipiellen Gründen für die Sphäre menschlichen Lebens unzureichend, da Menschen sich ihr Leben sprachlich-symbolisch vermitteln und dabei in einer eigentümlichen Weise normieren, rechtfertigen, begründen.
Problems of the formation of marginal groups in a biological and cultual view
The process of group-formation(as formation of alliances) involves the phenomena of expulsion, repression etc. Expulsion e.g. may contribute to stabilize the order of a group. There are certainly several reasons to favour the origins of social ‚„„Randständigkeit“; but beyond it there are probably different levels on which the formation of social marginal life takes place. This phenomenon is therefore subject to different disciplines. Recently its exploration has been advanced by biology in the study of animal social life. Ostracism can be shown in the social life of primates. The results of the biological research of animal behaviour is in some cases revealing for the ostracism phenomenon in the human sphere. But there isn’t such a thing as biological determinism in the social organisation of human beings. Civilised life preserves its peculiarity.
Ich rücke das Thema der Bildung sozialer Randständigkeit in den weiteren Rahmen all jener sozialen Phänomene, die es mit Ablehnung, Meidung, Ausschluß zu tun haben, die also in den weiten Umkreis gewisser mit der Sozialisierung wesensmäßig verknüpfter Gegenphänomene gehören. Diese Phänomene sind teilweise für das Bestehen sozialer Ordnungen unerläßlich. Es besteht kein zwingender Grund, das sozialpädagogische Thema der gesellschaftlichen Randständigkeit aus diesem allgemeineren sozialwissenschaftlichen Kontext auszuklammern, obwohl er auch politische, rechtliche u.a. Gegebenheiten in sich befaßt, die
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG
unter manchen Wertungsgesichtspunkten für die Evolution des sozialen Lebens auf der Erde als positiv beurteilt werden können.
Die folgenden Überlegungen sind aus Studien zu den Voraussetzungen und grundlegenden Mechanismen der Bildung von sozialer Randständigkeit hervorgegangen. Diese Voraussetzungen und Mechanismen sind m.E. nicht von einheitlicher Art. Sie liegen auf verschiedenen Realitätsebenen und können nicht durch eine einzelne Wissenschaft erfaßt werden. Ich lege in diesem Aufsatz das Schwergewicht auf eine wissenschaftskritische Auseinandersetzung mit dem
Band XV, Heft 3, 1989
experimentalbiologischen Zugang zur Bildung von sozialer Randständigkeit. Es ist zum Zwecke der Abhebung zwar erforderlich, auf die Ebene des ganzheitlichen Verhaltens von Lebewesen im allgemeinen wie auf die des sprachlichsymbolisch vermittelten menschlichen Weltzugangs im besonderen einzugehen, aber das Randständigkeitsproblem wird nicht ausführlich in seiner positiven Eigenart auf diesen Lebensstufen expliziert.
Man hat sich in letzter Zeit dem Problemfeld der Ächtung, Ausschließung und Randgruppenbildung wieder von biologischer Seite genähert(vgl. Gruter & Rehbinder 1986, 7f.). Es gibt ver
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