schiedene biologische Aspekte, von denen her man an soziale Ausgrenzungsphänomene herangehen kann(evolutionstheoretische ‚physiologische ,gehirnbiologische). Die bisherigen Ergebnisse, die vornehmlich an Tieren gewonnen worden sind, versprechen weitere Erfolge und legen Anwendungen auf die menschliche Sphäre nahe. Sie lassen sich nicht einfach durch Berufung auf sozialund humanwissenschaftliche Eigenständigkeit abtun. Ein genauerer Nachweis der Unzulänglichkeit ihrer Erklärungsleistung gegenüber einer sich in symbolisch vermittelten Wertungen erhaltenden Sozialität ist nicht so leicht zu führen. Er sei im folgenden versucht, weil es darauf ankommt ‚den naturwissenschaftlich biologischen Zugang zu sozialen Ausschließungsvorgängen von der ihm nicht offenstehenden soziokulturellen Seite des Phänomens so zu unterscheiden, daß die Gründe für die Unzulänglichkeit eines bestimmten naturwissenschaftlichen Zugriffs sichtbar werden und Grenzen überschreitende Argumentationsweisen ausgeschlossen werden.
Biologische Substrate, die selber seit einiger Zeit in keine Entwicklung mehr eingetreten sind, und ein von ihnen getragenes tierisches Sozialleben verhindern nicht, daß sich im Spielraum soziokultureller Entwicklungsmöglichkeiten das Randgruppenbildungsproblem z.B. unter unseren heutigen menschlichen Wertungsaspekten ganz anders ausnimmt, als wenn es im Rückbezug auf seine biologische Basis angegangen wird. Die biologische Forschungsweise, mit der ich mich auseinandersetze, ist, wie erwähnt, vornehmlich diejenige, die durch experimentelle Eingriffe in Organismen Ursachen für soziale Verhaltensphänomene aufzudecken versucht. Sie hat den Vorteil auf ihrer Seite, daß sie auf organismische Zustände und Vorgänge zurückgreifen und von ihnen aus erklären kann, anstatt sich mit einer ganzheitlich-komplexen Verhaltensbeschreibung zufriedenzugeben, die sich mit wissenschaftlich bescheideneren und fragwürdigeren Konstatierungen auf der Ebene komplexer-ganzheitlicher Lebenssituationen bescheiden muß. Nichtsdestoweniger bleibt die auf den Einzel
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Ingrid Blanke* Ostrazismus als Preis von Vergemeinschaftung?
organismus bezogene experimentelle Erforschung von Verhaltenseigentümlichkeiten grundsätzlich höherstufigem,symbolisch vermitteltem Verhalten gegenüber problematisch, wie im letzten Teil dieses Aufsatzes deutlich wird. Sie verfehlt dieses in seiner phänomenalen Eigenart, in der es für die sich so verhaltenden Wesen seinen Bestand hat, ohne daß diese ihre Lebenseigentümlichkeit zu Zwecken einer gewissen wissenschaftlichen Erkenntnis auf eine andersartige Gegenstandsebene reduzierten, die im Symbolsystem einer Naturwissenschaft angemessen darstellbar ist.'
Biologische und soziokulturelle Voraussetzungen der Randgruppenbildung
Das Zusammenleben von Tieren hat nicht auf der umfassenden Ebene der Art oder gar der Gattung statt, sondern auf der eingeschränkteren Ebene von Populationen. Indem in Populationen zusammengelebt wird, findet auch Arterhaltung statt. Aber so etwas wie Arterhaltung ist nichts, was im Lebensumkreis von Einzelwesen und ihren Intentionen vorkommt. Indem in Populationen zusammengelebt wird, findet zugleich Abgrenzung gegen andere Populationen derselben Art statt. Und soziale Beziehungen in einer Population, in der man zusammenlebt, sind Beziehungen zu bestimmten Gruppenangehörigen, die einer Gruppenordnung unterstehen, welche es für alle Mitglieder der Art als eine Einheit nicht geben zu können scheint.
' Buchkremer hat in seiner Arbeit„Ver
ständnis für Außenseiter‘‘(1977) einen Überblick über die verschiedenartigen Erklärungsversuche und ihre Reichweite gegeben. Im folgenden sind nur modernere experimentelle soziobiologische Forschungen auf diesem Feld Thema. Für andere Zugangsmöglichkeiten zum Phänomen sci auf Buchkremers übersichtliche, reichhaltige Arbeit hingewiesen. Trotz der Fortschritte der soziobiologischen Forschung bleibt es dabei, daß cin ausschließlicher Erklärungsanspruch gegenüber den soziokulturellen und psychologischen Phänomenen unzureichend bleibt. Vgl. Buchkremer 1977, 48 IT.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG
Die Gruppenordnung ist auch mitbestimmt durch ihre Abgrenzung gegen Mitglieder derselben Art, die außerhalb der Gruppe stehen.
Wir haben im Falle des Menschen zu später geschichtlicher Stunde das merkwürdige Phänomen, daß im Namen des Menschen und der Menschheit eine Art-umfassende Einheit angestrebt wird. Aber dieses Phänomen verdankt sich dem Ideenpotential einer Art, die gewisse naturhafte Gegebenheiten und auch Möglichkeiten zu überschreiten versucht und die im Namen von Ideen sich an ihrer naturhaften Mitgift, Sozialität und damit individuelles Leben nur in partikularer Pluralität verwirklichen zu können, stößt.— Hier wird in der Tat durch Denken und Handeln die Erhaltung der Art angestrebt— aber für einen irgendwie als gut beurteilten Lebenszustand.
Nähern wir uns dem Thema der Absonderung und des Ausschlusses in Gruppen von der strukturellen Eigenart der oben erwähnten Populationen als Einheiten des Zusammenlebens von gleichartigen Individuen so, daß wir Gruppen gegen den Unterschied von tierisch und menschlich indifferent sein lassen. Solche Populationen pflegen Binnenstrukturen aufzuweisen, durch die sich interne Untereinheiten unterscheiden. Deren Existenz scheint für den Bestand von größeren Sozialordnungen erforderlich zu sein. Solche Untergruppen können statisch fixiert sein und durch die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben und Funktionen zum Bestand der ganzen Gesellschaft beitragen. Sie können aber auch in dynamischen Auseinandersetzungen stehen, die die gesamte Population fortentwickeln oder auch gefährden können. Deren Flexibilität kann sehr unterschiedlich sein. Die Toleranzgrenze gegen Funktionsabweichungen kann sehr gering sein, so daß eine statische Stabilität vorliegt. Eine Großgruppe kann sich aber auch in einem dynamischen Gleichgewicht erhalten, indem in ihr ständiger Austausch von Untergruppenmitgliedern und Aufgabenwechsel von Untergruppen statthat.
Die Individuen, aus denen sich eine Gesellschaft zusammensetzt, sind, sozial gesehen, in die Bestandsbewahrung der
Band XV, Heft 3, 1989