Plädoyer für eine Revision des jugendstrafrechtlichen Subsidiaritätsprinzips
und der Zuchtmittel
Zum Spannungsverhältnis zwischen Autonomie
und subsidiärer Erziehung
Von Dietrich Kratzsch
Das geltende Jugendstrafrecht steht gegenwärtig im Zeichen eines tiefgreifenden Umbruchs. Die— u.a. auf den Sozialpädagogen F.W. Foerster zurückgehenden— Vorstellungen des Gesetzes von Erziehung, Zucht und öffentlicher„Regelung der Lebensführung‘ des Jugendlichen zu Erziehungszwecken sind teilweise überholt oder zu eng oder zu einseitig auf in ihren Wirkungen begrenzte Erziehungsmethoden festgelegt. Erhaltenswert und ausbaubedürftig ist die Leitidee einer jugendstrafrechtlichen ‚„„‚Pädagogik der Selbsttätigkeit‘“. Am Beispiel des jugendstrafrechtlichen Subsidiaritätsprinzips und der Zuchtmittel wird im folgenden Beitrag untersucht, wie in der anstehenden Gesetzesreform jene Grundidee besser als z.Z. zulässig zum Tragen gebracht werden kann.
At present the current juvenile criminal law is marked by a radical change. The law concepts— which are derived from the social pedagogue F.W. Foerster among others— of education, discipline and public “regulation of the manner of living” of the juvenile for the purposes of education are partly out of date or too limited respectively too one-sidedly determined on methods of education with limited efficiency. What should be preserved and requires improvement is the main idea of a juvenile penal“pedagogy of selfacting”. By taking the juvenile penal principle of subsidiarity and the means of discipline as an example it is investigated in the following article how this main idea can be given more significance in the approaching reform of law than it is permissible at present.
Einführung
Das im Jugendgerichtsgesetz(= JGG: seine 88 werden ohne Gesetzesbezeichnung zitiert) geregelte Jugendstrafrecht wird vom Prinzip des Vorrangs der Erziehung beherrscht(Nothacker, 1985): auf allen ihm offenstehenden Wirkungsebenen sucht es seine Schutzziele in erster Linie mit Mitteln der Erziehung zu erreichen. Bei der Gestaltung des Verfahrens wirkt sich dieser Grundsatz u.a. dahin aus, daß informellen Erledigungsstrategien(Einstellung des Verfahrens nach Erteilung von Auflagen oder Weisungen: sog. Diversion) gegenüber dem formellen(Urteils-)Verfahren in gewis
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG
sen Grenzen der Vorrang eingeräumt wird($ 45:„verfahrensrechtliches Subsidiaritätsprinzip‘“). In dem hier interessierenden materiellrechtlichen Bereich des Sanktionensystems ist die Ausrichtung am Erziehungsgedanken eher noch stärker ausgeprägt. Bis auf eine Ausnahme, die wegen ihrer relativ seltenen Anwendung in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden kann(Jugendstrafe wegen schwerer Schuld:$ 17 Abs.22. Alt.), sind alle jugendstrafrechtlichen Sanktionen als Erzichungsmaßnahmen ausgestaltet. Bei den durch Urteil festgesetzten Maßnahmen, auf die sich aus Raumgründen die folgenden Erörterungen beschränken werden, stehen dem
Band XV, Ileft 3, 1989
entsprechend drei Grundtypen„erzieherischer‘“ Sanktionen im Vordergrund:
— Die sog. Erziehungsmaßregeln, die aus Weisungen, Erziehungsbeistandschaft und_Fürsorgeerziehung bestehen (88 9-12).
— die sog. Zuchtmittel, die anders als die Weisungen im JGG eine abschließende Regelung erfahren: Verwarnung, Schadenswiedergutmachung, Entschuldigung, Zahlung einer Geldbuße, Jugendarrest.
— Die Jugendstrafe($ 17 Abs.2 1.Alt.), die nur verhängt werden darf, wenn bei dem Jugendlichen„schädliche Neigungen“ in der Tat hervorgetreten sind und Erziehungsmaßregeln und
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