Dietrich Kratzsch*
Weisungen(Erziehungsmaßregeln)— erzieherisches Optimum jugendstrafrechtlicher
Sanktionen?
Nach dem skizzierten Gesetzeswillen ist die Vorrangstellung der Weisungen damit zu rechtfertigen, daß sie gegenüber den Zuchtmitteln die bessere Erziehungswirkungen versprechen. Hierbei handelt es sich zunächst nur um eine normative Aussage, die der empirischen Überprüfung bedarf. Die Prüfung wirft die bekannten ungelösten Probleme der Erfolgsmessung auf(vgl. Kaiser 1988, 8 114 Rdn. 1 ff., 7; Ortmann 1987,42 ff.). Die Feststellung, daß nach dem Vollzug einer Sanktion keine weitere Straftat begangen wird, hat insbesondere bei Jugendlichen als Indikator des Erfolges wegen der Vielzahl anderer möglicher „Ursachen“(u.a.der Spontanbewährung des Jugendlichen) für sich allein kaum Aussagekraft(Kaiser a.a.O., Sessar 1984, 26, 33ff.). Zuverlässigere Evaluationsstudien stehen nur in sehr geringem Maße zur Verfügung. Immerhin gibt es „vorgeordnete Kriterien‘, aus denen sich wichtige Hinweise über Wirkungen und Wirkungsgrenzen der Sanktionen ergeben(sanktionsbezogene Grundlagenforschung, Anforderungsstruktur, Wirkungsweise und-bedingungen der Sanktionen, Implementationsforschung, vgl. Brandstädter 1982, 799; Kaiser 1988, 8 114 Rdn. 7 f.).
Erziehungsbegriff— Evaluationsziele
Entgegen einer verbreiteten Auffassung (z.B. Albrecht 1987, 61), die Erziehung mit Sozialisation gleichsetzt, wird nachfolgend mit dem JGG, Kohlberg 1986, 23; Peters 1960, 11 u.a. von einem weiten Erziehungsbegriff ausgegangen(vgl. a. Giesecke 1987,401). Erziehung i.S. des JGG stellt sich danach als jede Art von Förderung der Entwicklung zum Legalverhalten dar. Zu solchen Förderungs ‚maßnahmen“‘‘ zählen die Selbsterziehung(„Lernen“) ebenso wie mittelbare Einlußnahmen, dic sich darin erschöpfen, Anstöße zu Lernprozessen zu
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Revision des jugendstrafrechtlichen Subsidiaritätsprinzips
geben oder durch gewisse Umweltveränderungen zu organisieren(z.B. Schadenswiedergutmachung). Die Wirksamkeit einer„Maßnahme*‘‘ beurteilt sich danach, ob, in welchem Maße und mit welcher Dauer es gelingt, die Entwicklung zur Rechtshaltung in bezug auf die begangene Tat positiv zu beeinflussen.
Wirkungsweise und-bedingungen der Weisungen und Zuchtmittel
Jugendstrafrechtliche Sanktionen stellen Zzielgesteuerte Verhaltenssysteme dar. Als solche treten sie mit der„Absicht‘ in Aktion, die ihnen gesetzten Erziehungsziele tatsächlich zu erreichen. Aufbau und Ablauf dieser Verhaltenssysteme sind an bestimmte Wirkungsbedingungen geknüpft, die z.T. in ihrer Struktur, z.T. aber auch in ihre„Umwelt“‘, in der Persönlichkeit des„Lernenden‘‘ usw. angelegt sind(vgl. Kratzsch 1985, 202 ff., 231 ff., 344 ff.). In einer durch Analysen zu klärenden Weise bestimmen sie„Erfolg‘‘ und Grenzen der Sanktion mit.
Die Zuchtmittel verfolgen gemäß$ 13 Abs. 1] das Ziel,„dem Jugendlichen eindringlich zum Bewußtsein“ zu bringen,„daß er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat“. Der Schwerpunkt der„Erziehung“ liegt hier, insofern verdient Foerster(a.a.O.) Zustimmung, bei einer„Selbsttätigkeit‘* des Jugendlichen. Gleichgültig, ob der Effekt der„Züchtigung‘ in einer Sühneleistung, in einer Denkzettel- und— wie beim Jugendarrest— in einer„Schockwirkung“ gesehen wird: in jedem Fall ist es ein Bewußtwerdungsakt des Jugendlichen, der im Erfolgsfall die Begehung weiterer Taten verhindert(vgl. a. Lange 1944, 69 ff.; 1964, 367 ff.; Itzel 1987, 169 ff.). Die Rolle des als„Erzieher‘“ fungierenden Richters u.a. beschränkt sich darauf, jenen tatverhindernden Akt der Bewußtwerdung und sich anschließenden Verhaltensfestlegung anzustoßen(zu„motivieren‘). Die„Zuständigkeiten‘‘ für die Erzichung sind damit auf zwei„Erziehungsträger‘ verteilt, wobei der ‚Part‘ des Jugendlichen an folgende Bedingung geknüpft ist: Er muß ‚„,ansprechbar‘*, d.h. zu
HEILPÄDAGOGISCHI FORSCHUNG
der ihm angesonnenen„Selbsttätigkeit“ faktisch in der Lage und motivierbar sein (Eisenberg 1988 b,$ 13 Rdn. 12).
An dieser Voraussetzung kann es bekanntlich aus sehr unterschiedlichen Gründen fehlen(z.B. wegen einer extrem egozentrischen Grundhaltung des Jugendlichen, leichter Beeinflußbarkeit durch andere, fehlender Kontrollierbarkeitsüberzeugung, Selbstkontrolle usw.; vgl. Eisenberg a.a.O.; Miehe 1964,29 ff.). Da der Jugendliche noch nicht über die zur Selbstverhinderung künftiger Taten notwendige Bereitschaft, Einsicht und Einstellung u.a. verfügt, verliert hier eine Aufgabenverteilung wie sie$ 13 vorsieht, ihren Sinn. Statt den Jugendlichen wegen fehlender„Reife‘‘ ganz aus seiner Verantwortung zu entlassen(s.$ 3), geht das Gesetz mit den Weisungen einen Mittelweg. Was der Jugendliche aus eigener Kraft nicht schafft, sollen nunmehr fremdbestimmte, von Dritten festgelegte„Regelungen der Lebensführung“ (vgl. Miehe 1987, 118 f.) bewirken, um „dadurch seine Erziehung zu fördern‘ (z.B. durch Betreuung, Wohnen in einem Heim oder in einer Familie, Annahme einer Lehr- oder Arbeitsstelle, Arbeitsleistungen u.a.) oder zu„sichern“(z.B. Aufenthaltsge- oder-verbote). Anders als bei den Zuchtmitteln liegt die Hauptverantwortung für die Tatverhinderung nicht bei den Jugendlichen, sondern bei Einrichtungen der öffentlichen Erziehung. Durch diese Umverteilung und„Zentralisierung‘“ der Erziehungszuständigkeit übernehmen die Weisungen— im Verhältnis zu den Zuchtmitteln— eine spezielle Ergänzungsfunktion: Weisungen sollen zum Zwecke des spezialpräventiven Rechtsgüterschutzes den Jugendlichen bei der Behebung und Regulierung gewisser Mängel seiner‘“Moralstruktur‘* und Verhaltensorganisation(vgl. Wischka 1987, 7ff.; Itzel 1987, 180 ff.; Walter 1988a, 331) unterstützen, die ihn gegenwärtig noch an einer selbsttätigen Gefahrenabwehr in Eigenzuständigkeit hindern(Kaiser 1988, 8 34 Rdn. 68; Wischka, a.a.O.). Mit dem Nachweis dieser Verhaltensund Organisationsstrukturen der Zuchtmittel und Weisungen wird es möglich, Gegenstand und Ziele des anstehenden Wirkungs- und Funktionsvergleichs wei
Band XV, Heft 3, 1989