ter zu konkretisieren. Bei der Ausgangsfrage(„Weisungen= Optimum...‘?) geht es letztlich um das Problem, welche von zwei grundlegend verschiedenen(Miehe 1985, 1010; Itzel 1987, 228; abweich. Walter, a.a.0.; DBH 1988, 245) Erziehungsformen den Vorrang verdient: die allein auf die Selbsttätigkeit(„Autonomie*‘‘) des Jugendlichen setzenden Zuchtmittel oder eine u.U. recht eingriffsintensive und professionalisierte Form der öffentlichen Erziehung.
Autonomie und Subsidiarität der öffentlichen Erziehung
Die festgestellte Professionalität und die Intensität(Miehe 1987,118) der mit den Weisungen intendierten Erziehung scheinen— nicht zuletzt wegen der„Unfertigkeit‘ vieler jugendlicher Straftäter— überzeugend die Richtigkeit der gesetzlichen Rangordnung zu belegen. Beide Kriterien gelten in anderen Lernbereichen als Garanten optimalen Erziehungsverhaltens(vgl. Dewe/Otto 1984, 775 ff.). Eine nähere Betrachtung der Wirkungsbedingungen„sozialen Lernens“ führt jedoch recht bald auf die Spur des Gegenteils; jedenfalls folgt aus ihr die Notwendigkeit besonderer Zurückhaltung öffentlicher Erziehung.
Rechtmäßiges Verhalten wird, soll es Bestand haben, nicht durch bloßen Transfer oder Nachahmung vorgegebener Verhaltensmuster„erlernt‘‘, sondern setzt einen— vom jungen Menschen selbst organisierten— Aufbauprozeß voraus. Der Aufbau erfolgt durch„Handeln im Kontext‘, wobei der„Lernende“ Gelegenheit erhalten muß, entsprechende ‚„Eigenerfahrungen am Gegenstand“, d.h. in sozialen Interaktionen mit anderen zu machen(Oser 1988, 64ff.; Kohlberg 1986, 21 ff.; ders./Colby 1984, 221; Oerter /Montada 1987, 738 ff.; Steiner 1984, 321 ff.; Kegan 1986, 76 ff.). Solche Interaktionen sind Auslöser und notwendiger Bestandteil sozialer Lernprozesse, da sie dem Menschen erst bewußt machen, daß ein dem„Recht‘“ gemäßes Zusammenleben aller ein gewisses Maß allseitiger gegenseitiger Rücksichtnahme und entsprechende Umstrukturierungen
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG
Dietrich Kratzsch*
des selbstbezogenen Eigenverhaltens erfordert. Diese Kennzeichnung des sozialen Lernens als kontextbezogene aktive Einsicht und als Aufbauprozeß hat für die Strukturierung der in Rede stehenden Erziehungsformen entscheidende Bedeutung. Sie erklärt, daß
® die Kompetenz für die Erzichung zur Rechtshaltung— jedenfalls bei gegebener „Strafmündigkeit‘—- entgegen$ 5 Abs.2 in erster Linie dem Jugendlichen und Heranwachsenden gebührt(„4utonomieprinzip“, vgl. Lange 1964, 372 ff.; Plewig 1986, 255 ff.; Giesecke 1987a 405.) ® die Rollen, die die(Fremd-)Erziehung oder andere Personen(Opfer, peer groups etc.) als„Gestalter“ der Erziehung übernehmen, eher indirekter Art sind und sich auf anregende, begrenzende ‚ stützen de und bewußtmachende Funktionen beschränken
® eine nicht indizierte„Regelung der Lebensführung‘, zumal sie mit Arrest erzwungen werden kann($ 11), geradezu dysfunktional wirkt: nur allzu leicht kann die zwangsbewehrte Außensteuerung zum alleinbestimmenden Motiv werden und notwendige Eigenerfahrungen im Umgang mit anderen blockieren(Oser a.a.O.; Montada a.a.O.; Kohlberg a.a.O.).
Diese Gefahr wirkungshemmender Bevormundung und Überbetreuung ist der öffentlichen Erziehung immanent(vgl. Baumann /Weber 1985, 746; Plewig a.a.O.; Frehsee 1988 ,282 ff.; Heinz 1987, 131 ff.). Um sie auszuschalten oder möglichst gering zu halten, müßte die Rangfolge des 85 Abs.2 im Hinblick auf seinen Grundgedanken(Optimierung der Erziehung) eigentlich genau umgekehrt wie zur Zeit lauten: Nicht den professionellen und öffentlichen Erziehungsmitteln der Weisungen, sondern den an die Selbsttätigkeit und Eigenverantwortung des Jugendlichen appellierenden Zuchtmitteln würde danach der Vorrang zustehen. Es hat den Anschein, als setze sich 8 5 Abs.2 zu fundamentalen Prinzipien der Erziehungswirksamkeit in Widerspruch.
Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man das sozialpädagogische Prinzip der Subsidiarität der öffentlichen Erziehung als weiteren Maßstab heranzicht.
Band XV, Heft 3, 1989
Revision des jugendstrafrechtlichen Subsidiaritätsprinzips
Nach zutreffendem neueren Verständnis(Buchkremer 1988, 22 ff.; Münder 1984, 1158; Braun 1989, 4 ff.) gewinnt dieser Grundsatz vor allem als Optimierungsprinzip der Erziehung für die Sozialpädagogik Bedeutung. Sozialpädagogik stellt sich danach als eine Art„Nothilfepädagogik‘“* dar, die die Betroffenen nur„aushilfsweise‘‘(subsidiär) unterstützt, wenn die„gesellschaftlich etablierten Erziehungssysteme‘ versagen: Die im Gemeinschaftsleben übergeordnete Einheit(z.B. Staat) müsse die Wirkungsmöglichkeiten der kleineren Einheit(z.B. Familie) anerkennen, da hier die Erziehung oft in besseren und berufeneren Händen liege(Münder a.a.O.; Nothacker 1985, 332 f.). In den bisherigen Festlegungen wird das Subsidiaritätsprinzip meist zu einseitig nur auf soziale Gemeinschaften bezogen(zu den Grenzen des elterlichen Erziehungsrechts: zutreff. Miehe 1987, 120 ff.). Der wichtigste„Aufgabenträger‘‘, das„Jernende Subjekt‘, bleibt dabei zu Unrecht ausgeklammert. Ähnlich wie im Ansatz bereits Buchkremer 1988, 23 und Braun 1989, 8 wird man den Grundsatz entsprechend„individualisieren‘‘ müssen. Das„lernende Subjekt‘ nimmt in der Rangfolge jenes Prinzips den Platz der primär zuständigen„kleinsten Einheit“ ein. Ihren Wirkungsmöglichkeiten gebührt wegen der Geltung des Autonomieprinzips grundsätzlich vor denen anderer„Einheiten‘ der Vorrang; letztere dürfen nur die„Aufgaben‘‘ an sich ziehen, die die„kleinste Einheit‘ nicht erfüllen kann(vgl. Buchkremer a.a.O., 23; Giesecke 1987a, 404 ff.).
$ 5 Abs. 2 stellt auch dieses Fundamentalprinzip der Erziehungswirksamkeit gewissermaßen auf den Kopf. Indem er generell den erwähnten Öffentlichen Erziehungsformen den Vorzug gibt, erklärt er zum Normalfall, was nach jenem Prinzip nur der„Notfall‘‘ und die ultima ratio sein soll. Ein solches Vorgehen läßt sich auch nicht mit den strukturellen Besonderheiten des Jugendstrafrechts, etwa dem erhöhten Anteil sozialisationsgeschädigter Täter, rechtfertigen. Denn für solche„Notfälle‘* ist ja auch mit jenem Grundsatz explizit vorgesorgt.
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