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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Dietrich Kratzsch*

Zusammenfassend kann nicht zweifelhaft sein, daß die Weisungen die ihnen durch 85 Abs.2 zuerkannte Vorrangstellung nicht verdienen. Zugleich dürfte nachge­wiesen sein, daß die Vorschrift vor allem aus Gründen der Frzichungswirksamkeit dringend einer Revision durch den Gesetz­geber bedarf.

Grundlinien einer Reform der Zuchtmittel und

des jugendstrafrechtlichen Subsidiaritätsprinzips

Einer Reform des 8 5 Abs. 2, die in ad­äquater Form die erörterten Prinzipien automoner Selbsterziehung zur Geltung bringt, stellt sich möglicherweise die der­zeitige Fassung der Zuchtmittel entgegen.

Wirkungsgrenzen der Zuchtmittel

Ziel der Zuchtmittel ist es, dem Jugend­licheneindringlich zum Bewußtsein zu bringen,daß er für das von ihm began­gene Unrecht einzustehen hat(8 13 Abs. 1). Grundlage dieser Vorschrift ist die(heute veraltete) Vorstellung, daß man aufgutgeartete Jugendliche mit einem autoritär und repressiv wirkenden Dis­ziplinarmittel einenZwang zur Selbst­besinnung ausüben könne(Foerster 1912, 34 ff,; Boldt 1940,337; Schaffstein 1986, 394 ff.; Jung 1978, 621 ff.). Ver­haltenstheoretisch handelt es sich um ei­nen Anwendungsfall der Methode der ne­gativen Handlungsverstärkung(H. Kauf­mann 1974, 904 ff.; Itzel 1987, 169 ff.; a.A. Walter 1988, 331). Die Wirkungen dieser Erziehungsform sind begrenzt (Oerter/Montada 1987, 742 ff. m. Nw.). Das als Verstärker eingesetzteÜbel wirkt meist nur extrinsisch motivierend und nur solange, wie der Betroffene mit der Wiederkehr des Übels rechnen muß. Daß den Zuchtmitteln i.S. des 8 13 Abs. 1(!) relativ geringe Dauerwirkung zu­kommt, wird mehr oder weniger ein­drucksvoll auch durch die Ergebnisse der Praxis bestätigt.

Die Erwartungen die in die erzieherische Schockwirkung des Jugendarrests gesetzt wurden, haben sich in vielen Fällen nicht erfüllt(Eisenhardt 1977; Jung 1978,

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Revision des jugendstrafrechtlichen Subsidiaritätsprinzips

621 ff.; Plewig 1980,20 ff.; Pfeiffer 1981, 28ff.; Böhm 1985, 161 ff.; Schaffstein 1986, 393ff.). Hohe Rückfallziffern nach dem Arrestvollzug lassen an der Wirksamkeit der Sanktion zweifeln. Nicht selten hinterläßt der Schock nicht nurkeine positive Wirkung, sondern wirkt sofern erzieherische Hilfen aus­bleibenSogar ausgesprochen entso­zialisierend(Eisenhardt, Böhm a.a.0.). Die Zahl dergutartigen Jugendlichen, die i.S. Foersters zu einer entsühnenden Tätigkeit veranlaßt werden ‚ist verschwin­dend gering(Lange 1964, 372). Die Feststellungen über die Effizienz von Geldbußen fallen nicht wesentlich posi­tiver aus. Ihr erzieherischer Wert(Eisen­berg 1988 815 Rdn.15 ff.; Ostendorf 1987 Grdl. z. 88 1316 Rdn.5S; 8 15 Rdn. 13) steht in keinem Verhältnis zur Häufigkeit ihrer Anordnung(bis vor kur­zem: 95% aller Auflagen). Für die Auf­lagen der Wiedergutmachung und Ent­schuldigung dürfte solange(!) Ähnliches gelten, wie diese im Hinblick auf die Zielvorschrift des$ 13 Abs.1 lediglich als Mittel der repressiven Übelszufügung aufgefaßt werden(Dallinger-Lackner 8 13 Rdn. 3; 8 15 Rdn. 1 f., 7; Pfeiffer 1983, 166ff.). Die relativ seltene An­wendung dieser Auflagen ist vermutlich durch die methodische Verengung, die sie in 813 Abs.1 erfahren, wesentlich mitbedingt.

Angesichts dieser und anderer Funktions­und Wirkungsgrenzen(bzw.-mängel) er­scheinen die Zuchtmittel in der Tat als Erziehungsmittel 2. oder 3. Wahl, die gegenüber anderen nur hilfsweise An­wendung verdienen. Den hohen Ansprü­chen einerPädagogik der Selbsttätig­keit vermögen sie nur relativ selten zu genügen. Die Frage ist, ob dieser Erzie­hungsform nicht mit anderen Mitteln besser Rechnung getragen werden kann. Im Zusammenhang mit dem Rechtsfol­gensystem werden zwei Alternativen diskutiert.

Umfunktionierung der Weisungen ein Ausweg?

In der gegenwärtigen Praxis des Jugend­strafrechts gibt es starke Tendenzen,

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG

Sanktionen, die ihrer Struktur nach Zuchtmittel entsprechen, in Weisungen i.S. des 8 10 Abs. 1 umzufunktionieren. Als ein Beispiel unter mehreren, das exemplarisch die Konsequenzen und Problematik dieser Praxis erhellt, sei die Arbeitsweisung angeführt.

Gemäß 8 10 Abs. 1 Ziff.4 kann der Rich­ter dem Jugendlichen auferlegen ‚eine Ar­beitsleistung zu erbringen. Nach ständi­ger höchstrichterlicher Rechtssprechung (BGH MDR 1976, 634) sind Arbeitswei­sungen alsRegelungen der Lebensfüh­rung nur zulässig, wenn siedie Ein­stellung des Verurteilten zur Arbeit be­einflussen sollen und können(vgl. jed. BVerfGE 74, 102ff.; Brunner 1987, 258 f.). Die Jugendgerichte und ihnen folgend sozialpädagogische Einrich­tungen negieren dieses beschränkende Verdikt. In großem Umfang haben sie Ar­beitsweisungen in Arbeitsauflagen trans­formiert, die ähnlich wie Strafen nach Stunden taxiert(z.B. 30200 Stunden Arbeit) und wie die in$ 13 genannten Zuchtmittel mit der gleichen repressiven Funktion alsahnende Sanktion ver­hängt werden(Heinz 1987, 142 ff.; Eisen ­berg 1988, 8 10 Rdn. 20). Auf den ersten Blick scheinen auf diesem Wege die skiz­zierten Wirkungsmängel der Zuchtmittel behoben werden zu können. Mit einer Sanktion werden zugleich die Vorteile der 88 13 und 10 in Anspruch genom­men, ohne an das zu enge Korsett der Zuchtmittel gebunden zu sein. Die ver­meintlichen Vorzüge werden jedoch mit schwerwiegenden Nachteilen erkauft, die vor allem der Autonomie der Betrof­fenen einen Schlag versetzen.

Eine praktische Folge der Umfunktionie­rung der Weisungen in Zuchtmittel ist, daß erstere da zugleich Zuchtmittel auch dann angeordnet werden, wenn an sich kein Bedarf an einerRegelung der Lebensführung i.S. des$ 10 Abs. 1 be­steht. Da die Hürde der Erziehungsbe­dürftigkeit natürlich nicht so ohne wei­teres umgangen werden kann, behilft man sich mit einer Extension der Er­ziehungsziele(Frehsee 1988, 286 ff.). Ein Erziehungsbedürfnis i.S. des$ 10 Abs. 1 wird schon für den Fall bejaht, daß die Arbeit geeignet ist, in Arbeits­welten, Organisationen u.a. einzuführen,

Band XV, Heft 3, 1989