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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Dietrich Kratzsch>

Revision des jugendstrafrechtlichen Subsidiaritätsprinzips

die der Jugendlichesonst kaum kennen­gelernt hätte(Pfeiffer 1983, 153 f.); Erfahrungszuwachs, Kommunikationser­weiterung zu vermitteln usw. Bei der Bandbreite dieser Zielfestlegungen dürf­te es schwer sein, Fälle zu finden, in de­nen 810 Abs.l1 nicht einschlägig ist. Gegen die in Rede stehende Funktions­erweiterung von Zuchtmitteln in Wei­sungen sind durchgreifende Bedenken geltend zu machen. Dem Jugendstraf­recht werden damit bildungspolitische Aufgaben zugemutet, für die es ihm an jeder Zuständigkeit fehlt. Zugleich er­gibt sich ein Einbruch in die Schutzdäm­me des 813, die dieser im Interesse der Autonomie des Betroffenen und im Hin­blick auf das Prinzip der subsidiären Er­ziehung errichtet. Ein Zusammenschluß von Weisungen und Zuchtmittel bedeu­tet historisch einen Rückschritt, da er eine sachlich gebotene Differenzierung zunichte macht.

Vorteile und Ausbau tatbezogener Reaktionsfolgen

Konkreter Anlaß, im Rahmen dieses Beitrags die Möglichkeit und Notwen­digkeit einer gesetzlichen Änderung der Zuchtmittel zu prüfen, ist die in der Einführung gestellte Ausgangsfrage: läßt sich die in der Praxis verbreitete Abkehr vom Susidiaritätsprinzip mit erzieheri­schen Gesichtspunkten(statt nur mit quasi-pönalen Erwägungen der Verhält­nismäßigkeit) rechtfertigen?

Auf der Basis des 813 Abs.l war die Frage nicht eindeutig zu beantworten. Zwar gibt es erhebliche Vorbehalte ge­gen die in 85 Abs.2 verfügte Privilegie­rung der Weisungen. Eine generelle Um­kehr dieses Rangverhältnisses zugunsten der Zuchtmittel wäre angesichts der fest­gestellten Wirkungsmängel der letzteren jedoch nicht minder bedenklich. Die Zu­rückhaltung des Reformentwurfs, der in Zukunft 85 Abs.2 weiterhin beibehal­ten will(RE 1987), erscheint deshalb bis zu einem gewissen Grade verständ­lich. Bei dieser Einschätzung wird aller­dings die Geltung der derzeitigen Fas­sung des 813 Abs.l1 vorausgesetzt. In dem Maße, in dem man sich von der ein­

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engenden Bindung dieser Vorschrift an die repressiven Ziele der Zuchtmittel löst und Erwägungen de lege ferenda Raum läßt, ergibt sich eine völlig andere Aus­gangslage, die auch das Subsidiaritäts­prinzip des$ 5 Abs.2 in einem anderen Licht erscheinen läßt.

Die Zuchtmittel sind nur einer von meh­reren Anwendungsfällen eines Grundtyps jugendstrafrechtlicher Sanktionen, die im folgendentatbezogene Reaktions­folgen genannt werden.

Das kennzeichnende Spezifikum dieser Sanktionsform besteht vor allem darin, daß sie entsprechend der Zielrichtung des Jugendstrafrechts der Beziehung Tat Täter Sanktion ihr Hauptau­genmerk zuwendet und diese anders als die Weisungen in den Dienst der erzieherischen Einflußnahme stellt(z.B. durch Verknüpfung der Tat mit gewis­senÜbeln wie bei den Zuchtmitteln). Unter gewissen Voraussetzungen kann dieser doppelte Tatbezug der betreffen­den Sanktion zu einer(auch für ihr Rang­verhältnis zu anderen Sanktionen) we­sentlichen Wirkungssteigerung verhelfen. Ob es dazu kommt, hängt allerdings von der jeweils verwendeten Erziehungsme­thode ab.

Zwei vom Ansatz her grundsätzlich ver­schiedene Methoden werden an dieser Stelle relevant.

Für die eine(bereits behandelte) Erzie­hungsform: die negative Handlungsver­stärkung stehen die Zuchtmittel in ihrer derzeit geltenden Fassung als Prototyp. Ihre(engen Grenzen unterliegende) Wir­kungen kranken daran, daß die Bezie­hung zwischen Tat Täter Sanktion rein äußerlich bleibt und nicht von Dauer ist.

Der andere methodische Ansatz die so­genannte induktive Erziehungsmethode (Oerter/Montada 1987, 743)- sucht diese Äußerlichkeiten zu vermeiden. Ihr geht es um die Herbeiführung von Ver­haltensänderungen, die innerlich gesteu­ert undinstrinsisch motiviert sind. Beispiele hierfür sind die(von repressi­ven Zielsetzungen freie) Wiedergutma­chung des Schadens, die Entschuldigung und gewisse Arbeitsauflagen(J. Schreck­ling 1988, 214 ff.; Schöch 1987, 143 ff.; Frehsece 1987, 94 ff'.; Schaffstein/Beulke

Band XV, Heft 3, 1989

1987, 94 f.; Schreckling/Pieplow 1989, 10ff.). Von Erziehung im herkömmli­chen Sinne vonZiehen läßt sich hier allenfalls nur noch indirekt sprechen. Die Erziehung beschränkt sich darauf, bestimmte tatbezogene Situationen zu arrangieren, die den Jugendlichen zu einer aktiven(selbsttätigen) Ausein­andersetzung mit seiner Tat und ihren Folgen für andere(und nicht nur, wie 813 Abs.1 festlegt: für den Täter) ver­anlassen. So ist z.B. für die Schadens­wiedergutmachung dokumentiert, daß mit ihr manchem Jugendlichen erstmals bewußt geworden ist, was er mit seiner aus Übermut, Leichtsinn u.a. begange­nen Tat für Folgen beim Opfer angerich­tet hat, welchen Wert die zerstörten Gü­ter für den Betroffenen hatten usw.

Die positive Wirkung derartiger selbst­gesteuerter Umstrukturierungsprozesse übersteigt, insbesondere auch, was ihre Dauerhaftigkeit angeht, die von extrin­sisch motivierten, durch Zucht aufok­troyierten Verhaltensänderungen erheb­lich(Oerter/Montada a.a.O.; Schreckling/ Pieplow a.a.O.). Diese Tatsache ist allein Grund genug, sie im Gesetz verbindlich festzuschreiben, was durch entsprechen­de Erweiterung des$ 13 Abs.l gesche­hen müßte.

Darüber hinaus legen einen solchen Schritt noch andere Gründe nahe, die das Rangverhältnis zu anderen Sanktio­nen berühren. Eine instrinsisch motivie­rende Sanktion, die in der Form einer tatbezogenen Folge vollzogen wird, ver­meidet Umwege, wie sie bei Regelungen der Lebensführung i.S. des$ 10 Abs. 1 gegangen werden müssen. Sie führt an den Kern des Problems heran und macht den ansprechbaren Jugendlichen unmittelbarer, als esRegelungen der Lebensführung vermögen ‚deutlich ‚wel­che Veränderungen von ihnen gefordert sind.

Ein weiterer Grund leitet sich aus dem Prinzip der Subsidiarität der öffentlichen Erziehung ab. Öffentliche Erziehung sollte aus Gründen der Erziehungswirk­samkeit mit dem Ziel dergrößtmögli­chen Unabhängigkeit des Betroffenen arbeiten und um einepermanente Ab­nahme der Interventionen bemüht sein. Diesem Postulat dürften die induktiven

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