Dietrich Kratzsch>
Revision des jugendstrafrechtlichen Subsidiaritätsprinzips
Formen tatbezogener Folgen von allen in Rede stehenden Sanktionen am besten gerecht werden. Im Vergleich zu den Zuchtmitteln und Weisungen bringen Maßnahmen wie die Wiedergutmachung zusätzliche Lockerungen mit sich, die wegen der indirekten Art, in der diese wirksam werden, der Ingangsetzung selbsttätiger Erfahrungs- und Änderungsprozesse besonders förderlich sind (s. Frehsee 1987,97 f.).
Ein wichtiger Nebeneffekt der materiellen und symbolischen Wiedergutmachung ist die Wiederherstellung des Rechtszustands auf seiten des Opfers i.S. ausgleichender Gerechtigkeit(Kratzsch 1985, 350 ff.; 1989, 55 f.). So wünschenswert und förderungsbedürftig ein solcher Ausgleich auch sein mag: sein erfolgreicher Abschluß stellt— entgegen manchen Postulaten der„Täter-Opfer-Ausgleich“‘Bewegung(Schreckling/Pieplow 1989, 11)— keine notwendige Bedingung des in Rede stehenden Sanktionstyps dar. Denn ein Ausgleich kann aus verschiede nen Gründen scheitern(z.B. wegen Weigerung oder Überforderung des Opfers), die nicht im Verantwortungsbereich des Täters liegen(Eisenberg 1988, 8 15 Rdn. 5; Kratzsch 1987, 131 FN 1). An der gegenwärtigen Regelung, daß ein ernsthaftes Bemühen um Wiedergutmachung ausreicht, sollte deshalb auch künftig festgehalten werden.
Für den Fall, daß ein Opfer nicht vorhanden ist, bietet sich als Alternative die Arbeitsauflage an(Art. 1 Nr. 3a RE 1987; Böhm 1985, 142 f., 155; Itzel 1987, 221; a.A. Eisenberg 1984, 17 f..; Pfeiffer 1983, 172f.; DBH 1988, 245; Walter 1988, 332).
Allerdings müßte diese als intrinsisch motivierende Maßnahme so ausgestaltet werden, daß sie sich nicht in der Funktion eines herkömmlichen Zuchtmittels erschöpft(so jed. RE 1987, 32; Itzel a.a.O.; krit. Walter a.a.O.), sondern dem Jugendlichen die Verantwortung für die Folgen des Handelns für andere bewußt macht.
Um allgemein die Notwendigkeit eines inneren Bezugs der Sanktion zu den Tatfolgen für andere oder jedenfalls des Verantwortungselements gesetzlich verbindlich zu machen, wird zum cinen eine Er
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weiterung des Katalogs der Auflagen ($15) um die Arbeitsauflage u.a. und zum anderen eine entsprechende Änderung der Zielbestimmung des$ 13 Abs. 1 vorgeschlagen(„daß er Verantwortung für die Folgen seines Verhaltens für andere trägt‘).
Wie bereits mehrfach betont, bleibt davon unberührt, daß die intrinsische Wirkung tatbezogener Folgen eine gewisse Ansprechbarkeit und Änderungsbereitschaft voraussetzt, die keineswegs bei allen Jugendlichen erwartet werden kann. In gewissen Grenzen behalten die herkömmlichen Zuchtmittel und Weisungen weiterhin ihre Gültigkeit.
Konsequenzen für das Subsidiaritätsprinzip
Das Ergebnis der Untersuchung läßt sich dahin zusammenfassen, daß das geltende Jugendstrafrecht der öffentlichen Erziehung einen zu hohen Stellenwert beimißt und der Gedanke ihrer Subsidiarität darüber zu kurz kommt. Die Möglichkeiten, den Betroffenen durch Induzierung tatbezogener Folgen Gelegenheit zur autonomen Selbsterziehung zu geben, werden, wie das Beispiel der Zuchtmittel zeigt, vom Gesetz zu wenig genutzt. Zu Unrecht und zu einseitig räumt das jugendstrafrechtliche Subsidiaritätsprinzip ($ 5 Abs. 2), soweit es sich um ambulante Maßnahmen handelt, ausgerechnet der intensivsten aller Formen öffentlicher Erziehung den Vorrang ein, die sich theoretisch auf die gesamte Lebensführung des Jugendlichen erstrecken kann. Um einer aufgewogeneren und erzieherisch optimaleren Gewichtsverteilung den Weg zu ebnen, erscheinen deshalb in mehrfacher Hinsicht Änderungen der gesetzlichen Regelungen der Zuchtmittel sowie des$ 5 Abs. 2 angezeigt. 1. In welchen Beziehungen die Zuchtmittel reformiert werden sollten, ist bereits oben näher behandelt worden. Erneuerungsbedürftig sind danach vor allem — die Gesetzesbezeichnung, die in„tat
bezogene Folgen‘‘ umbenannt werden
sollte
die Zielbestimmung des$& 13 Abs. I
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG
(„Verantwortung des Jugendlichen für die Folgen seiner Tat für andere“: statt nur für sich selbst)
— der Katalog der Auflagen, der um die schon in der Praxis verwendeten induktiven Erziehungsmittel(Wiedergutmachung und Arbeitsauflage mit der reformierten(induktiven) Zielsetzung des 8 13 Abs. 1) zu erweitern ist.
2. Um der verbreiteten Neigung zur Pri
vilegierung repressiver„Zuchtmittel‘““
entgegenzuwirken, sollte innerhalb der
„tatbezogenen Folgen“‘ durch eine Rang
ordnung der Vorrang der induktiven
Erziehungsmittel gegenüber den„klas
sischen‘‘ Zuchtmitteln verbindlich fest
gelegt werden. Für eine zusätzliche Reduktion der letzteren zugunsten der
Weisungen würde deren Verknüpfung
mit der veränderten(„induktiven“‘) Ziel
bestimmung des$ 13 Abs. 1 sorgen.
3. Diese Ergänzungen und Aufwertung
der„tatbezogenen Folgen‘ vorausset
zend, wird darüber hinaus vorgeschlagen, die in$5 Abs.2 festgelegte Rangfolge der Sanktionen, soweit sie ambulante
Maßnahmen betrifft, im Sinne des(in
dividualisierten) Konzepts der Subsidiari
tät der öffentlichen Erziehung umzukehren. Nicht den öffentlichen Regelungen der Lebensführung, sondern den zur
Selbsterziehung anregenden tatbezoge
nen Folgen gebührt der Vorrang. Auf
erzieherische Weisungen könnte danach nur noch dann zurückgegriffen werden, wenn tatbezogene Folgen„nicht ausreichen‘ und eine diesbezügliche„Erziehungsbedürftigkeit‘‘ des Jugendlichen
besteht(vgl. Eisenberg 1988, 8 5 Rdn. 14;
$ 10 Rdn. 10).
4. Lediglich hinsichtlich der stationären
Maßnahmen(Jugendarrest, Jugendstrafe)
ist an der bisherigen Subsidiaritätsklau
sel festzuhalten.
Diese Gesetzesvorschläge erheben nicht
den Anspruch, mit einem Schlage alle
z.Z. offenen Probleme zu lösen. Wich
tige Fragen bleiben der Entscheidung
durch Praxis und Wissenschaft überantwortet. Ein Problem, das insofern dringend der Klärung bedarf, ist vor allem die genaue Grenzziehung zwischen der in$ 13 angestrebten Form der autonomen Selbsterziehung und der Fremderziehung mittels Weisung. Die Unbe
Band XV, Heft 3, 1989