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haus statt. Oben wurde diese Beschränkung in Frage gestellt und für eine gesamtgesellschaftliche krankenpädagogische Sicht plädiert. Wenn also auch keine ausschließliche, so verdient die Klinik doch eine besondere krankenpädagogische Beachtung.
Diese Hervorhebung der Krankenhauspädagogik kann zum einen durch die Bedeutung der Klinik als wichtigste Institution mit der offiziellen Aufgabe der Krankheitsbewältigung, zum anderen durch die spezifischen Milieubedingungen, denen sich der eingelieferte Kranke ausgesetzt sieht, gerechtfertigt werden. Dabei ist selbstverständlich keine strikte Abgrenzung möglich: Die fließende Anbindung der speziellen Krankenhauspädagogik an die allgemeineren Anteile der Krankenpädagogik findet auf der Seite der Theorie z.B. durch die Analyse der gesellschaftlichen Funktionen der Klinik, auf seiten der Praxis durch übergreifende Maßnahmen wie die Betreuung von Kranken während und nach ihrem Krankenhausaufenthalt statt.
Die Unterrichtung hospitalisierter Kinder und Jugendlicher macht einen Teil der Krankenhauspädagogik aus. Darüber hinaus müssen Modelle zur außerunterrichtlichen, etwa heil- und sozialpädagogischen Betreuung erarbeitet werden. Hierzu sollten die oben erwähnten Erfahrungen aus dem Ausland genutzt werden. Daneben existieren auch innerhalb der Bundesrepublik vereinzelt modellhafte Versuche(s. z.B. Theis 1987 b). Am Lehrstuhl für Allgemeine Heilpädagogik und Sozialpädagogik II der Universität Köln wurden mittlerweile einige Examensarbeiten zur außerschulischen heilpädagogischen Begleitung in Kinderkrankenhäusern erstellt.
Der selten hinterfragte Machtanspruch der Medizin und die damit verbundenen hierarchischen Strukturen stellen für die Krankenhauspädagogik schwierige Rahmenbedingungen, gleichzeitig aber auch Chancen dar. Allein ihr Gegenstand, mehr noch ihre Methoden und Ziele provozieren den Ausbruch latent ohnehin vorhandener Konflikte, die idealiter von Kranken, Medizinern und anderen Beschäftigten und Pädagogen als Chance ergriffen werden sollten: Die theoreti
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Gebhard Theis* Krankenpädagogik- Versuch einer Neubestimmung
sche und praktische Offenlegung der zahlreich in der Klinik vorfindbaren Krankheitsbegriffe als Alternativen zum—Mmedizinisch-naturwissenschaftlichen, das Infragestellen der Delegierung der Verantwortung über den Körper und die Krankheit durch den Kranken an die Ärzte, die praktische Kritik der zunehmenden Vermittlung der Krankheit über Technik beispielsweise zwingen nicht nur die Medizin zur Wahl zwischen Selbstkritik und Auseinandersetzung auf der einen und dem Versuch der Unterdrückung und Ausgrenzung der Pädagogik und damit der Rekaschierung der Konflikte auf der anderen Seite.
Eine Besonderheit ergibt sich in Kinderkrankenhäusern und auf Kinderstationen: Hier bricht der Widerspruch zwischen Autonomiebestrebungen auf seiten der Kranken und Passivierungsversuchen durch die Vermittler der Klinik auch ohne pädagogisches Zutun wesentlich häufiger aus als auf Erwachsenenstationen, und er wird häufig mit Gewalt unterdrückt; die primäre krankenpädagogische Funktion besteht hier folglich in der Unterstützung der kindlichen Forderungen mit dem Ziel der Auflösung des genannten Widerspruchs.
Ein tragendes Element einer Institution ist ihre Beständigkeit. Krankenhauspädagogik stellt das Bestehende in Frage, und deshalb wird die Klinik zur Ausgrenzung der Krankenhauspädagogik neigen. Diese tut also gut daran, bewußt ihre intrainstitutionelle Position und ihre potentiellen innovativen Möglichkeiten gegeneinander abzuwägen und behutsam an Veränderungen mitzuwirken. Sie sollte nicht vor der faktischen Macht der Medizin und der starren Strukturen resignieren und sich weder vorzeitig zurückziehen noch sich um jeden Preis in die Institution einfügen. In letzterem Fall bliebe ihr nämlich nur, den vorgegebenen Umgang mit Krankheit zu begleiten und soziale Symptome zu glätten, sich also instrumentell im Sinne eines reibungslosen Stationsablaufs benutzen zu lassen; allein ihre Techniken wären dann noch gefragt. Dafür, daß die Krankenhauspädagogik Gefahr läuft, das genuin Pädagogische aufzugeben und affirmativ zu wirken, sprechen Tenden
zen, auf die Wienhues hinweist:„Viele Krankenpädagogen sehen es zur Zeit als Hauptaufgabe an, ‚die Regel zu konstruijeren‘, nach der die Erziehung kranker, auch chronisch und todkranker Kinder und Jugendlicher zu verlaufen habe. Sie soll planbar, kalkulierbar, kontrollierbar gemacht, sachlich und inhaltlich definiert, kurz: verwaltet werden“(1985, 17).
Ausblick: Theoretische Ansätze und mögliche Praxisfelder
Wir sind weit von einer geschlossenen (kritischen) Theroie der Krankenpädagogik entfernt: Die punktuell vorhandenen Forschungsergebnisse stehen weit gehend ungebunden nebeneinander, vor allem aber wurden wesentliche Aspekte des krankenpädagogischen Gegenstandes, und zwar hauptsächlich die außerklinischen, bisher kaum bearbeitet. Analog blieben mögliche Praxisfelder unbeOhne hier auf methodische Fragestellungen und die Bedeutung der sozialwissenschaftlichen Grundlagenwissenschaften einzugehen, werden abschließend exemplarisch zwei außerklinische Forschungsund Praxisdesiderate angeführt. Sie selbst machen nur einen Bruchteil dessen aus, was in Theorie und Praxis zu erarbeiten bleibt. Die Beispiele sollen aber zum Nachdenken darüber anregen, wo und mit welchem Ziel Krankenpädagogik in Zukunft tätig sein und in welcher Weise Pädagogik in alten Praxisfeldern krankenpädagogisch zu denken und zu handeln beginnen könnte.
Zum Problemfeld
der gesellschaftlichen und individuellen Produktion von Krankheit
Es ist Aufgabe der Krankenpädagogik, gesellschaftlichen Mechanismen der Produktion von Krankheit entgegenzuwirken, soweit die Autonomie des betroffenen Individuums dadurch nicht beschnitten wird. Langenmayr untersucht empi
HELILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 3, 1989