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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Gespräch mit Frau Karola v. Bracken über ihren Mann Helmut v. Bracken,

Begründer der HEILPÄDAGOGISCHEN FORSCHUNG, am 8.11.1994 geführt von Holger Probst

DIE 60ER JAHRE

Probst: Frau v. Bracken, ich habe hier in der Hand den 1. Band der Zeitschrift HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG, deren Begründer und langjähriger Herausge­ber Ihr Mann, Prof. Dr.Dr. Helmut v. Bracken ist. Es interessieren mich die Umstände, die Lebenssituation, in der Ihr Mann 1964 auf die Idee kam, diese Zeitschrift zu konzipieren und natürlich seine Person, von der Sie viel erzählen können.

v. Bracken: Er gab damals schon(seit 1953, gemeinsam mit Wilhelm Witte) die Psychologischen Beiträge heraus. Die brachten aber dieses Gebiet(Heilpäd­agogik) nicht genug mit ein, und darum hat er noch die HF begründet.

Probst: Darf ich fragen, was taten Sie zu der Zeit, Mitte der 60er Jahre?

v. Bracken: Zu der Zeit war ich im Ker­stin-Heim(Heim und Schule für Geistig Behinderte in Marburg-Neuhöfe), ich war Heilpädagogin, Sprachheillehrerin und bin bei meinem Mann auch ausge­bildet worden. Von 1959 bis 1961 habe ich in Marburg studiert.

Probst: Ich überlege gerade... das war die Zeit, in der das Institut für Heil- und Sonderpädagogik nochLehrgänge zur Ausbildung von Sonderschullehrern hieß.

v. Bracken: Ja, erst 1963 wurden die Lehrgänge in die Universität aufgenom­men. Aber da wußte man noch nicht genau, in welche Fakultät man es ein­schmuggeln konnte. Die Heilpädagogik war noch kein anerkanntes Gebiet. In die Medizin paßte es nicht rein. Soviel ich weiß, gehörten dieLehrgänge or­

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ganisatorisch zur Fakultät Theologie. Prof. Niebergall war Rektor und ich weiß noch, wenn früher die Professoren an dem Neujahrsempfang diese Talare tru­gen, da hatten die Fakultäten besondere Farben. Mein Mann hatte lila.

Probst: Sie waren Sprachheillehrerin am Kerstin-Heim, das war damals ein Heim für geistigbehinderte Kinder.

v. Bracken: Das Kerstin-Heim war ein Internat und hatte am Anfang nur weni­ge Kinder und wir waren nur zwei Leh­rerinnen, Frau Mutters und ich als Schul­leiterin.

Probst: Jetzt würde ich Sie gern fra­gen: was hat denn Ihren Mann damals beschäftigt, welche Aufgaben hatte er, was waren seine Fragestellungen?

v. Bracken: Zuerst einmal hatte er die Organisation der Lehrgänge für Son­derschullehrer übernommen, von Wil­helm Schade. Herr Schade war aus Kas­sel und der erste, der die Ausbildung von Sonderschullehrern in Marburg ge­leitet hatte.

Als mein Mann 1955 angefangen hatte, wurde dieses Gebiet von ihm übernom­men. Man hatte gemeint, er wäre dafür prädestiniert, weil er nicht nur Pädago­ge, sondern auch Arzt gewesen ist und Psychologe. Es war hier eine sehr breite Ausbildung, die medizinisch Fakultät war vertreten, die Hals-Nasen-Ohren­Klinik, die Kinder- und Jugendpsychia­trie, die Orthopädie mit Prof. Exner.

Probst: War es die Idee Ihres Mannes, das Studium sehr breit anzulegen?

v. Bracken: Ja, das glaube ich schon. Er war organisatorisch sehr gut drauf. Er hatte versucht, all diese Sparten mit in die Ausbildung zu nehmen, sogar

Körperbehinderung. Dies hat er jedoch nicht mehr geschafft.

Probst: Aber die Breite des Studiums war enorm und die Personen vielfältig, das wird in allen Berichten betont. 16 Professoren waren beteiligt, im weiteren Sinne gab es 34 Lehrende. Davon kön­nen wir heute nur noch träumen. Sie sagen, daß damals ihr Mann sehr viele Personen herangezogen hatte, also eine interdiziplinäre Basis hergestellt hat. Welche Vorhaben beschäftigten ihn zu der Zeit?

v. Bracken: Er machte Vorstudien für das spätere Buch über Vorurteile gegen­über Behinderten. Er hat sich aber mehr um die Organisation und den Innen­aufbau des Instituts gekümmert. Er hat sich sehr um die Fortbildung des Lehr­körpers bemüht, es kamen dieTagun­gen der Dozenten an Sonderpädago­gischen Studienstätten auf sein Betrei­ben zustande. Mein Mann hatte ja sehr viele Arbeiten angeleitet und war im­mer darauf aus, daß es mehr Ergebnisse aus empirischen Untersuchungen gibt.

Probst: Wie kam es dazu? Es ist ihm als Medizinier nicht unbedingt ans Herz gelegt, empirisch zu forschen. Was hat ihm dies bedeutet, daß er auf empirische Untersuchungen Wert legte?

v. Bracken: Er wollte immer tiefer hin­ein und immer mehr herausholen aus der Pädagogik. Er wollte, daß die Kin­der noch viel mehr betreut wurden. Ich habe das später bei meinen Schulkindern feststellen können. Ich hatte solche Schü­lerpatienten, die man anderswo nicht mehr angenommen hätte. Man glaubte, daß sie nicht mehr lernen könnten, weil da oben(im Kopf) nichts lief.

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 4, 1994