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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Holger Probst ­

Gespräch mit Frau Karola v. Bracken über den Begründer der HEILPÄDAGOGISCHEN FORSCHUNG

Probst: Was sind die empirischen Un­tersuchungen, die Ihr Mann damals be­trieben hat, und die vielleicht auch den Geist der HEILPÄDAGOGISCHEN FOR­SCHUNG geprägt haben?

v. Bracken: Er machte die Untersu­chung mit dem Flimmergerät, er unter­suchte den Schreibdruck bei Stotterern. Ich weiß noch, daß es mit den Geräten einen kleinen Aufstand gab. Da wurde am Tag der Offenen Tür eine Ausstel­lung vom Heilpädagogischen Institut gemacht; da war mein Mann aber schon kein Chef mehr. Das Flimmergerät ha­ben die Leute als Museumsstück dahin­gestellt. Er war sehr, sehr ärgerlich:Die verstehen nicht damit umzugehen, um dies beurteilen zu können. Er hat sich gesagt, das war eine wichtige Sache und wir haben hier nicht unseren Spaß oder irgendwelche Versuche gemacht, die vielleicht fehlgeschlagen sind, sondern es war eine ernsthafte Untersuchung, die auch Erfolg brachte, und dann wissen die Leute nichts damit anzufangen.

Probst: Die Studenten machten in den 70er Jahren diese Austellung, um auf die mangelhafte Ausstattung des Insti­tuts hinzuweisen. Und die antik ausse­henden Experimentalgeräte Ihres Man­nes standen unter dem ironischen Mot­to: Heilpädagogische Geräte des 20. Jahr­hunderts.

Es waren also experimental-psychologi­sche Untersuchungen, die Ihr Mann durchführte.

v. Bracken: Was waren es noch für Ar­beiten und Themen?! Meine Prüfungs­arbeit hießAkzeleration und Mutation.

Probst: Es ging um die Vorverlegung des Stimmbruchs unter dem früher ein­setzenden und heftigeren Größenwachs­tum. Das hat Sie als Stimmpädagogin interessiert.

v. Bracken: Ich habe auch die einzige Eins bekommen. 1961.

Probst: Das Peterssche Lerngerät, sagt Ihnen das noch etwas?

v. Bracken: Ja. Ich habe übrigens noch alle Akten, die mein Mann verwahrt hat­te. Auch von Wilhelm Peters. Ich glau­be, diese Akte hat Prof. Bäumler bekom­

Karola und Helmut v. Bracken im Jahr 1963

men. Er hat dann die Bibliothek von Peters mit übernommen. Prof. Bäumler, der in München ist, hat mir geholfen beim Sichten der einzelnen Bücher. Ich habe auch vieles nach Passau geschickt. Dazu passende Fotografien.

Probst: Dem Institut für Geschichte der Psychologie in Passau hat unser Institut auch die experimentellen Geräte über­lassen, die Dia-Sammlung Ihres Man­nes etc. Wir denken, daß die Sachen dort in guter Hand sind.

Frau v. Bracken, wie war in den 60er Jahren Ihr Leben? Sie hatten. im Süd­bahnhofsviertel ein schönes Haus?

v. Bracken: Ja, wir hatten eine Hälfte von einem Haus, die andere Hälfte hatte Frau Käthe Elftmann, die Sekretärin meines Mannes. Mein Mann war da­mals etwas im Streß. Ich ging tagsüber ins Kerstinheim.Unser Leben war eigent­lich ziemlich geschäftlich. Dann ist mein Mann in die Kur gekommen. Er mußte eine zeitlang Diät leben. Dann kam der Junge auf die Welt. Mein Sohn ist 1964 geboren. Wir waren zwei Jahre verhei­ratet.

Probst: Haben Sie Zeit für Ihre Familie gefunden?

v. Bracken: Ich habe meinen Sohn ei­gentlich kaum erlebt. Ich hatte ja nur

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 4, 1994

mit dem Kerstinheim zu tun, mußte da­für viel vorbereiten. Es gab leider noch keine Unterrichtsmaterialien, diese muß­te man selber anfertigen. Ich habe nach unserer Heirat mit meinem Mann ver­schiedene Schulen besichtigt, in Holland, in Belgien, und ein psychologisches Symposium in Leuven besucht, um uns Anregung zu holen.

GORDON ALLPORT

Probst: Es gab viele Wissenschaftler, mit denen Ihr Mann Kontakt hatte, die befreundete und bekannte Kollegen wa­ren? Wie kamen diese Kontakte zustan­de?

v. Bracken: In London war ein psycho­logischer Kongreß. Dort lernte mein Mann Gordon Allport kennen. Die bei­den haben sich angefreundet. Er hat dann die deutsche Psychologie nach Amerika gebracht und mein Mann die amerika­nische hierher. Er war eine Brücke. Das sagte jedenfalls auch Prof. Lienert, daß mein Mann sehr viel für den Austausch mit USA geleistet hat. Das habe ich in dieser Zeit auch mitbekommen. Prof. Allport war sein persönlicher Freund. Mein Mann übersetzte Bücher von ihm ins Deutsche.Pattern and Growth in Personality hieß das eine Buch. Allport hat das große Buch, es war wohl sein Lebenswerk, von meinen Mann überset­zen lassen:

Probst: Gordon Allport schrieb auch 1953 den ersten Beitrag für die Psycho­logischen Beiträge. Ihr Mann übersetze also sein Persönlichkeitsbuch.

v. Bracken: Es war nicht bloß ein Über­setzen, sondern eine Einfühlung in das, was geschrieben war. Mein Mann hat ja überhaupt gut Sprachen sprechen kön­nen. Er sprach mehrere Sprachen: Eng­lisch, Französisch, Holländisch, Spa­nisch, Italienisch, Norwegisch; er war ein Sprachgenie.

Probst: Ein sehr vielseitiger Mensch of­fenbar.

v. Bracken: Er arbeitete in sehr vielen Fachgebieten, Genetik, Gerontologie, usw. In unserem Bücherschrank wußte

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