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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Holger Probst ­

er sofort wo was steht. Da war einmal ein Prof. Simonsen, ein amerikanischer Psychologe, bei uns. Mein Mann rief zu Hause an, ich solle ihm doch bitte das Buch, in dem und dem Fach herausho­len und auf Seite sonundso nachschauen. Der Prof. Simonsen sagte dann.Ihr Mann hat ja einen Kopf wie ein Pferd. Bei den Korrekturen der Arbeiten, z.B. Examensarbeiten, war er immer der er­ste, der damit fertig war. Mein Mann las diagonal.

MITARBEITER UND STUDENTEN

Probst: Ihr Mann arbeitete nicht nur viel, sondern auch effektiv. War er penibel?

v. Bracken: Manchmal habe ich ge­dacht, daß er ein bißchen pedantisch ist, er war natürlich sehr ästhetisch, er wusch sich x-mal die Hände, das kam auch daher, weil er als Arzt praktiziert hatte; trotzdem war er großzügig, großmütig, nie nachtragend, aber er hat auch nichts vergessen. Vergeben konnte er, aber ver­gessen nicht. Bei Unstimmigkeiten zog er sich zurück, reflektierte sich und ver­hielt sich danach anders als vorher. Nach seinem Tode fand ich viele Gutachten von ihm, z.B. über Kasztantowicz, über Arno Schulze, über Klaus Zimmermann auch; ich meine auch von Ihnen hätte er ein Gutachten gemacht. Niemals hätte er jemanden verrissen; auch wenn er noch so unangenehme Erfahrungen mit demjenigen machte.

Probst: Er war oft Gutachter in Beru­fungsverfahren.

v. Bracken: Prof. Kastantowicz kam damals von München nach Marburg. Er schrieb über dieSünde.

Probst:Erziehung und Sünde war sei­ne theologisch ausgerichtete Disserta­tion.

v. Bracken: Irgendwie hat mein Mann auch gedacht, ich gebe ihm eine Chan­ce. Mein Mann hat sich nie auf die Ur­teile anderer verlassen. Wenn einer über den anderen geschimpft hat, dann sagte er sich, ich muß die Erfahrung selbst machen. In der Beziehung war er mei­

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ner Meinung nach ein großartiger Mensch. Mein Mann war ein wirklicher Charakter. Er hätte nie von jemandem das Urteil übernommen. Genauso war es mit dem Sonderschullehrer, der in Gießen Rektor war und die Schule für Geistig Behinderte hatte. Dieser Mann ist nachher auch nach Bremen gegan­gen. Er wollte hier gerne der Direktor werden von dem Heilpädagogischen In­stitut.

Probst: War es Georg Feuser? v. Bracken: Ja, Feuser, der war das. Das war ein ganz falscher.

Probst: Wie war das Verhältnis zwi­schen Feuser und v. Bracken?

v. Bracken: Feuser war ja noch in der Ausbildung. War das jetzt66 oder67 als man gestreikt hat?

Probst: Das war 1969.

v. Bracken: Und in dieser Zeit wurde Feuser groß, er wollte die Stelle meines Mannes haben.

Probst: Feuser wollte die Professur Ih­res Mannes? Kann man das so sagen?

v. Bracken: Den Direktor-Posten, viel­leicht auch die Professur. Feuser war jedenfalls auch bei mir in den Lehrver­anstaltungen. Ich wurde als Dozentin in der Schule eingesetzt, im Institut I Am Schwanhof und habe dann dort Sprach­übungen mit den Studenten gemacht und die praktischen Dinge erzählt. Ich war Lehrbeauftragte in dieser Zeit und habe über meine Erfahrungen mit den Kin­dern erzählt und ihnen Beispiele vorge­führt. Einige Studenten haben sehr viel davon profitiert, weil Schulen für GB erst später eingerichtet wurden. Eines Tages vor meiner Unterrichtspraktischen Übung merkte ich, die kommen nicht rein, sagte dannwas ist denn los, ihr wollt doch anfangen, aber da gab es einen Auflauf: Der Herr Feuser hat je­den interviewt; er wollte die Leute bit­ten, ihre Kritik an Studentenbetreuung und Ausbildung vorzubringen; wenn sie sich mit solchen Sachen nicht einver­standen erklären, was das Institut be­traf, dann sollten sie sich doch bei ihm melden und dann alles gesammelt vor­

Gespräch mit Frau Karola v. Bracken über den Begründer der HEILPÄDAGOGISCHEN FORSCHUNG

bringen. Andere sagten dann, es wäre umgekehrt, Feuser hätte die Leute dar­auf angesprochen. Also er hätte sie doch angestachelt, daß sie sich so äußern. Und die wollten das gar nicht. Die waren in der 2. Ausbildung. Es waren Ältere da­bei, die ihre Ruhe haben wollten. Die hatten keine Lust da noch zu streiken und ‚was Neues rein zu bringen.

Dann kam mein Mann noch in die Zei­tung: In der Frankfurter Rundschau hieß es, daß Prof. v. Bracken ein Despot wäre und ein Tyrann. Mein Mann war jedoch alles andere. Die FR, welche wir damals bezogen, haben wir von der Zeit an ab­bestellt.

Probst: Also aus heutiger Sicht: Ich weiß über die Vorwürfe und über die Kritik, die damals Studenten dazu ge­bracht haben, gestandene und profilier­tere Persönlichkeiten zu attackieren. Ich denke, daß Ihr Mann allein durch seine Profiliertheit, durch sein vielfältiges Wis­sen und durch seine Kontur viele auch provoziert hat. Er zeigte ein großes Maß an Direktivität und an Bestimmenkön­nen, und das war damals gegen den Zug der Zeit.

v. Bracken: Mein Mann war ziemlich genau und eng in der Beziehung. Er verlangte pünktliches Erscheinen, auch eine Entschuldigung, wenn man nicht kam, ein triftiger Grund mußte es dann sein, und er hat eben verlangt, daß die Leute arbeiteten. Das war denen nicht genehm, vielen jedenfalls nicht. Und er war vielleicht manchmal ein bißchen zu streng, er verwies sozusagen die Leute an ihren Platz. Wenn sie damals in Grüppchen standen, scheuchte er sie auf mit den WortenLos, los, hier wird ge­arbeitet!

Probst: Frau v. Bracken, Ende der 60er Jahre, das war eine sehr konfliktreiche Zeit. Sie haben verschiedene Personen genannt, mit denen sich Konflikte erga­ben. War ihr Mann enttäuscht? War er verbittert? Wie hat er das verarbeitet?

v. Bracken: Ja, das hatte er auch ge­meint. Er war ja bereits 68 oder 70. Er hätte ja schon aufhören können. Er hat es nicht getan, weil es keine Nachfolger gab. Es gab verschiedene, die sich profi­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 4, 1994