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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Holger Probst- Gespräch mit Frau Karola v. Bracken über den Begründer der HEILPÄDAGOGISCHEN FORSCHUNG

lieren wollten aber dann haben diese wohl von dem Streik mitbekommen und haben sich schleunigst wieder entfernt.

Probst: Das war eine freiwillige Arbeits­zeit, die Ihr Mann der Sache willen auf sich genommen hat. Man könnte sagen, das wurde ihm übel gelohnt.

v. Bracken: Ich meine, er war immer ziemlich kooperativ, auch demokratisch. Diktatorisch war er eigentlich nicht.Er hatte aber auch so einen Zug an sich: er konnte auch einem ganz schön die Mei­nung blasen. Das hat er vorher auch sehr viel gemacht. Und als ich ihn dann geheiratet habe, kam eine ganze Abord­nung von Studenten die mir folgendes sagten:Wir danken Ihnen, daß Sie un­seren Professor geheiratet haben. Dann fragte ich,weshalb?. Ja, er sei ein ganz anderer Mensch geworden, viel umgäng­licher, viel netter. Ich nehme an, durch die familiären und häuslichen Schwie­rigkeiten aus seiner ersten Ehe hatte er sich so gereizt gezeigt.

DAS PAAR- DER MANN

Probst: Es war also eine Klärung sei­ner Lebenssituation, daß er seine frühe­re Ehe abschloß.

v. Bracken: Er war ja schon über 20 Jahre von seiner Frau entfernt. Die wa­ren ja schon längst auseinander.

Probst: Und in der Zeit hat er allein gelebt?

v. Bracken: Ja, wenn er da war, war sie nicht da, wenn sie da war, war er nicht da. Ich habe ja gegenüber gewohnt, und habe mitbekommen, daß sie nie da War.

Probst: Ach, Sie waren auch Nachbarn? v. Bracken: Ich mußte ihn ja auch mit dem Auto nach Hause fahren. Ich war eine der wenigen, die einen Pkw hatte.

Probst: War Ihr Mann selbst nicht Au­tofahrer?

v. Bracken: Nein, er konnte autofahren, er hatte jedoch nie die Prüfung gemacht.

Probst: Er ist schwarz gefahren?! v. Bracken: Einmal habe ich gelacht.

Er wollte mir zeigen, wie man Auto fährt. Wir sind in einem Waldstück ge­wesen, ein ganz kleiner, schmaler Steg mit einem Graben. Ich habe gesagt, ‚So, jetzt fahre ich ein Stück über den Steg, dann kannst Du weiterfahren. Was macht mein Mann? Mit einem pfiffigen Bubengesicht, er fährt rückwärts. Ge­nau wieder über den Steg, und sogar rückwärts.

Probst: Er wollte beweisen, daß er es doch kann!

v. Bracken: Er konnte wirklich gut Autofahren, hat jedoch nie die Prüfung gemacht.

Probst: Sie waren ja damals ein frühes Beispiel für ein Ehepaar, in dem beide Teile auf sehr qualifiziertem Niveau be­rufstätig sind. Das gilt für Ihren Mann als auch für Sie. Sie hatten eine leitende Funktion. Sie haben eine Einrichtung aufgebaut auf der Grundlage Ihrer aka­demischen Ausbildung. Das ist erst heute häufig bzw. üblich geworden. Was hat­ten Sie für ein Mann-Frau-Verhältnis?

v. Bracken: Ja, das ist so eine intime Frage. Wir haben uns abends immer wie­der gefunden, jedoch tagsüber mußte je­der seine Arbeit machen. Ich muß ja sagen, als ich später meine Praxis im Hause hatte, kamen wir noch weniger zusammen. Selbst nachts arbeitete ich im Haushalt, ich hatte sonst keine Zeit. Wissen Sie, was ich so wunderbar an meinem Mann fand: wir waren uns oft spinnefeind abends, er ist ausgezogen mit seinem Bett, weg, ins Nebenzim­mer; aber dann hatten wir keine Ruhe. Und wenn es nachts um 1 Uhr oder 2 Uhr war, in der Mitte hatten wir da einen Schrank, da haben wir uns jedesmal ge­troffen.

Probst: Sie haben also beides gemacht: Sie waren berufstätig und für den Haus­halt zuständig. Und diese Doppelbela­stung, die Sie als Frau damals getragen haben, wie es ja noch lange üblich war, hat Ihr Mann nicht mitgetragen. Hat er nur wissenschaftlich gearbeitet?

v. Bracken: Einmal hatte er abgetrock­net. Beim Pflaumeneinkochen z.B. rie­sige Berge mußten hier verarbeitet wer­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 4, 1994

den habe ich nachts dagesessen und den Weckapparat angestarrt.

Probst: Haben Sie Ihre Aufgabe denn auch so verstanden, daß Sie durch Ihre alleinige häusliche Arbeit Ihrem Mann seine intensive Arbeit ermöglicht haben? v. Bracken: Ja, unbedingt. Das Buch Vorurteile hatte er deshalb auch mir gewidmet, denn da habe ich ihn sehr unterstützt. Denn ich habe ihm sehr vie­le Möglichkeiten gegeben, zu arbeiten. Er brauchte zu Hause und im Garten nichts zu machen.

Probst: Was hat Ihnen an Helmut v. Bracken als Mann so besonders ge­fallen?

v. Bracken: Daß er ein gebildeter Mann war mit tollen Manieren. Er hatte gera­de das, was ich vorher an Schulen nicht erlebt habe. Die Schulräte schickten nur Dekrete; für die war man eine Nummer, Er schrieb immerSehr geehrter Herr, sehr geehrte Dame, je nach dem, hat einen auch mitFrau angeredet, statt Fräulein. Es kam dies damals erst auf und war nicht üblich. Das fand ich als Studentin von einem Professor ganz toll, und das habe ich nie von einem anderen erfahren können und für mich war das etwas ganz besonderes. Als ich verhei­ratet war, hatte er mir auch jeden Tag die Hand geküßt und am Tisch mir den Platz angeboten, und dann erst hat er sich gesetzt. Samstags bekam ich im­mer Blumen. Die vielen Blumen waren mir ab und zu eine große Last. Sie muß­ten ja auch versorgt werden. Ich bin jemand der vielmehr Saures anstatt Sü­ßes mag, da habe ich gesagtsaure Gur­ken wären mir ja lieber. Von der Zeit bekam ich mein gewissesLöwenfrüh­stück.

Probst: Ihr Mann hatte auch Humor und Witz.

v. Bracken: Ja und wie, wenn er unter­wegs war, brachte er mir dann ein Gläs­chen Gurken mit. Dann bekam ich kei­ne Blumen mehr.

Probst: Was waren denn die Umstän­de, unter denen er Sie von sich als Mann angetan hat?

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