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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Holger Probst- Gespräch mit Frau Karola v. Bracken über den Begründer der HEILPÄDAGOGISCHEN FORSCHUNG

habe, mehr ein Trotzverhalten, daß er in die SPD eingetreten ist. Obwohl er jetzt bei den Grünen wäre, denke ich.

Probst: Sie meinen, daß seine Auffas­sungen da hineinpassen würden.

v. Bracken: Ja, so ein bißchen gegen die Strömung. Er wollte vorwärts, dies war auch ein Grund, warum er sich nicht mit seinem Vater verstand, weil sie po­litisch auch auseinanderklafften. Die anderen Söhne haben sich mehr ange­paßt. Er war kein Typ, der sich ange­paßt hatte. Wenn er nach außen hin auch so schien, aber er war es nicht.

Probst: Ist er damals auch aus der SPD ausgeschlossen worden, wie Düker, Maus, Abendrot und die Marburger Clique, die nach links hinausflog?

v. Bracken: Da war mein Mann nicht dabei, dies lehnte er ab. Deswegen hatte er mit einigen auch nicht so gut harmo­niert.

Probst: Na ja, damals sind auch die SPD-Leute sagen wir links überholt worden. Düker war irgendwie ein radi­kalerer Mensch.

v. Bracken: Er war ja ein Bauernsohn. Hat ja auch mit dem S-tein anges-toßen. Und hat sich dann auch immer über die anderen gestellt. Ich fand Düker etwas zu grob.

Probst: Ja, er hatte einen kräftigen Schlag, mit der Hand auf die Schulter, mit seinem Spazierstock auf den Tisch. Aber er war erfrischend. Düker wurde bei seiner imposanten Erscheinung von Kollegen seines Instituts z.T. als autori­tär empfunden, auch seinen Versuchs­personen gegenüber.

FREUNDE

Ihr Mann ist mit den unterschiedlich­sten Menschen ausgekommen. Er hat mit ihnen sogar gemeinsame Projekte verfolgt.

v. Bracken: Weil er eben der Wissen­schaft immer wieder den Vorrang gab. Wenn die Kollegen wissenschaftlich et­

was leisteten, dann waren sie ihm etwas wert.

Probst: Gab es im Leben Ihres Mannes einen engen Freund?

v. Bracken: Ja, Prof. Gordon Allport und besonders Prof. Wilhelm Witte, der dann in Regensburg war. Er war Psy­chologe. Die beiden waren ein Herz und eine Seele. Sie hatten gleiche Wellen­längen. Prof. Witte war lange Zeit bei uns immer wieder Gast. Auf der Beerdi­gung stand er lange noch am Grab mit Tränen in den Augen, er hat nur ‚mein Freund gesagt. Nicht lange danach ist er auch gestorben.

Probst: Frau v. Bracken, ich finde Ihre Erzählungen sehr farbig und authen­tisch. Sie sagten mir vorhin, was Sie an Ihrem Mann geschätzt haben. Was hat er an Ihnen als seine Frau gemocht?

v. Bracken: Ja, er sagte jeden Tag ‚Ich bin froh und glücklich, daß ich Dich habe. Und jeden Tag hat er wieder ge­sagt ‚Ich entdecke wieder neue Eigen­schaften an Dir. Weil er keine Men­schenkenntnis hatte, hat er ja auch nicht von vorneherein gewußt, wie ich wirk­lich bin; das hat er erst erfahren.

Probst: War es auch Ihre Lebhaftigkeit, die er geschätzt hat?

v. Bracken: Ja, weil ich temperament­voll war. Ich war ja da auch der Mittel­punkt. Ich habe Gedichte gemacht. Wir haben da ein Sommerfest gemacht, wo ich die Carmen gesungen habe und habe die Cleopatra gespielt. Ich war etwas ganz anderes als seine erste Frau. Seine erste Frau war dann beleidigt und hat dann vier Wochen nicht mit ihm ge­sprochen. Ich habe gedonnert und ge­sagt, ‚Wenn Du DA die Tellerraus­schmeißt, schmeiße ich sie DA raus. Ich habe nie klein beigegeben. Ich habe ihm kontra gegeben, das war er nicht gewöhnt. Er war eigentlich noch ein Patriarch.

VATER UND SOHN

Probst: Ich würde nun noch gerne et­was über Helmut v. Bracken als Vater

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 4, 1994

wissen. Ihr Sohn ist 1964 geboren, da war ihr Mann schon 65. Darf ich fra­gen, wie alt Sie waren?

v. Bracken: Wie alt ich war! Ich war 42. Als mein Sohn geboren wurde war ich 42, ja.

Probst: Sie sind also 1922 geboren. Wie war das Verhältnis Ihres Mannes zu sei­nem Sohn?

v. Bracken: Seinen Sohn, den hat er vergöttert. Er hat ja schon vor meiner Zeit in sein Tagebuch geschrieben, was ich dann später gefunden habe, ‚Ich möchte noch einmal heiraten, ich möchte einen Sohn haben. Das war mit ein Grund, warum er die Scheidung haben wollte, er wollte partout einen Sohn.

Probst: Was hat Ihr Sohn Ihrem Mann bedeutet?

v. Bracken: Eigentlich sah er sich sel­ber darin, er sah ihm ja auch furchtbar ähnlich, mein Sohn. Er läuft genau wie sein Vater und hat auch diese kräftige Statur. Mein Sohn war unheimlich ge­scheit. Der hat schon bevor er in die Schule kam, lesen und schreiben kön­nen, aus sich selbst. Autodidakt. Des­halb wollte er auch Musiker werden. Er wäre nie irgendwo untergekrochen in ein Abhängigkeitsverhältnis, nein. Aber das hat er von meinem Mann geerbt. Mein Mann war ja auch so revoltierend.

Probst: Hat ihr Mann irgendwelche Be­rufswünsche, Erwartungen an seinen Sohn gehabt?

v. Bracken: Nein.

Probst: Er hat ihm völlig freie Bahn gelassen?

v. Bracken: Ja, er hat ihn sogar mei­ner Ansicht nach verwöhnt. Er hat ihm alles erlaubt, was ich ihm verboten hat­te. Da habe ich einmal gesagt, ‚Du stirbst eher als ich, normalerweise, wenn ich nicht gerade verunglücke mit dem Auto, aber dann habe ich den Ärger mit dem Jungen.

Probst: Haben Sie auch akzeptiert, daß

er Musiker geworden ist? Sie stehen der Musik doch auch sehr nahe?

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