Zur Erprobung von Ravens Matrizentest:
30 Jahre danach
Von Karl Josef Klauer
Ein kurzer Rückblick
Vor wenigen Jahren veröffentlichte der inzwischen hochbetagte J.C. Raven einen Artikel, in dem er alle Untersuchungen auflistete, die zu seinen Tests erschienen waren— glaubte er. Natürlich fehlte die hier abgedruckte Untersuchung, obwohl sie durchaus zu den gröBeren gezählt werden durfte. Man konnte keinesfalls erwarten, daß das erste Heft des ersten Jahrgangs einer deutschen Zeitschrift, die sicher auch im deutschen Sprachraum anfangs kaum verbreitet gewesen sein dürfte, von einem britischen Autor zur Kenntnis genommen würde. Jedenfalls habe ich mir das Vergnügen gemacht, dem alten Herm aufgrund seines Beitrags ein Exemplar des Artikels zu schicken, damit er seine Sammlung vervollständigen konnte.
In den sechziger Jahren war es möglich, an einem Heilpädagogischen Institut umfangreiche Forschungen und Erhebungen durchzuführen. Die Studierenden unterzogen sich einem Aufbaustudium in heutiger Terminologie, d.h. sie waren in aller Regel fertig ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer mit meist mehrjähriger Praxis, denen man nicht nur Fragen beantwortete, die sie sich nie selbst gestellt hatten. Viele von ihnen waren gerne bereit, durch empirische Untersuchungen mitzuhelfen, die Basis unseres Wissens und Könnens tatkräftig zu erweitern. Natürlich mußte man ihnen genaue Anleitung geben, was die Einzelheiten der Untersuchung betraf, doch ist das nichts Ungewöhnliches.
Auf diese Weise wurde damals in Köln relativ viel Forschung betrieben. Die Studie zum Raven-Test ist ein Beispiel davon. Sechs Studierende erbrachten Teilleistungen hierzu, die sie selbst ihrer Staatsarbeit zugrundelegen konnten und die von mir so aufeinander abgestimmt
waren, daß es sich lohnte, eine umfangreichere Arbeit zu publizieren. Ebenfalls recht aufwendig waren die Untersuchungen zum Schulbesuchsverhalten(Klauer 1963), zur Berufs- und Lebensbewährung ehemaliger Hilfsschulkinder(Klauer, Gramm, Heydrich& van Laak 1963) oder die insgesamt 36 Trainingsstudien, die meiner Habilitationsschrift zugrundelagen(Klauer 1969). Auf die vielen kleineren Arbeiten, die damals auf ähnliche Weise entstanden, will ich gar nicht erst eingehen.
Insgesamt war das eine fruchtbare Zeit, an die ich mich gerne und dankbar erinnere.,
Ein paar Worte zu dem Artikel
Zur Untersuchung selbst ist wohl nicht viel zu sagen. Es wäre natürlich schöner gewesen, eine bundesweite Standardisierung vornehmen zu können, aber das überstieg meine damaligen Möglichkeiten bei weitem. Daher beschränkten wir uns darauf zu prüfen, wie eine regional begrenzte deutsche Stichprobe von Kindern auf das Verfahren reagierte. Die Ergebnisse waren nicht so klar wie etwa die der Erprobung des„Pictorial Test of Intelligence“ von French, die wir damals in Köln durchführten und die zeigte, daß der Test offenbar ohne Umstandardisierung in Deutschland verwendet werden könne(Klauer& Steinhausen 1969). Die Raven-Normen erwiesen sich dagegen für die deutsche Stichprobe als etwas zu anspruchsvoll.
Die Datenauswertung, die wir vornahmen, entsprach den mäßigen Möglichkeiten, die uns damals zur Verfügung standen. Man mußte noch mit mechanischen Rechenmaschinen arbeiten und konnte froh sein, wenn man wenigstens eine elektrische hatte, die einem die Arbeit des Kurbelns abnahm. Alleine die
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 4, 1994
Berechnung einer Standardabweichung nahm schon erhebliche Zeit in Anspruch. Viele der interpretatorischen Aussagen erscheinen mir noch heute bemerkenswert. Etwa daß die Hilfsschulkinder von damals im anschaulichen Denken nur wenig beeinträchtigt waren, auch wenn es sich um abstraktes Denken handelte, daß ihr Leistungsfortschritt gleich groß war wie der der Volksschulkinder, daß sie eben nur auf einem niedrigeren Niveau einsetzten, und ähnliches mehr. Solche Befunde sind für eine Psychologie dieser Personengruppe nach wie vor relevant, auch wenn sie gewiß nur einen Teil, einen Ausschnitt des Gesamtbildes repräsentieren.
Interessant mag noch das Detail sein, daß der Artikel Klauer& Steinhausen (1969) ebenfalls im ersten Heft einer neuen deutschen Zeitschrift erschien, nämlich der„Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie‘, aber wesentlich stärker beachtet wurde. Beispielsweise erhielt ich aufgrund dieses Beitrags von einem namhaften Verlag das Angebot, den French-Test in deutscher Bearbeitung herauszubringen. Das habe ich abgelehnt, weil meiner Ansicht nach dazu keine Veranlassung bestand, denn der French-Test konnte unsern Ergebnissen zufolge unmittelbar angewandt werden — ganz im Gegensatz zu dem RavenTest. Aber dafür gab es kein Angebot— vielleicht weil nur wenige den Beitrag zur Kenntnis nahmen?
Der Test in heutiger Sicht
Man könnte zweifellos einen umfangreichen Artikel zu dem Test schreiben, in dem darzustellen wäre, was man aus heutiger Sicht über ihn weiß. Ich will nur auf zwei Aspekte eingehen: Auf einen, der damals schon von mir in dem
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