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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Karl Josef Klauer- Zur Erprobung von Ravens Matritzentest: 30 Jahre danach

Artikel thematisiert wurde, und auf ei­nen, der mir aufgrund meiner neueren Trainingsforschungen wichtig geworden Ist.

In dem hier erneut abgedruckten Bei­trag habe ich eingangs aufgezeigt, daß der Test aus vier Aufgabengruppen be­steht, die jeweils einheitlich lösbar sind. Wie dabei deutlich wird, kann man die ersten drei Aufgabengruppen zusam­menfassen als die Gruppen, bei denen Wahrnehmungsgesetze die Aufgaben­lösung erleichtern. Erst bei der vierten Gruppe, den Analogieaufgaben, ist es unerläßlich, daß man eine Regelhaftig­keit zwischen einem Paar von Elemen­ten entdeckt, die man auf ein anderes Paar anwendet.

Zu einer ähnlichen Zweiteilung kommt Hunt(1974) in seiner vielbeachteten Analyse derAdvanced Progressive Ma­trices(APM). Hunt ist an den Lösungs­prozessen interessiert und entwirft Com­puterprogramme, die in meiner Inter­pretation als präskriptive Prozeduren geeignet sind, die Aufgaben des APM lösen zu lassen. Formal entspricht das dem Vorgehen, das ich später bei der präskriptiven Beschreibung induktiver Denkprozesse angewandt habe. Nach Hunt sind zwei Prozeduren notwendig, eine Lösungs- und eine Kontrollstra­tegie. Lassen wir die letztere hier beisei­te, weil sie in engem Zusammenhang zur Lösungsprozedur steht, so ist für den vorliegenden Zusammenhang von Be­deutung, daß Hunt zwei Lösungsproze­duren vorsieht: Eine Gestaltprozedur und eine analytische. Die Gestaltprozedur er­möglicht es, einen Teil der Aufgaben des APM zu lösen, wohingegen die analytische Prozedur alle Aufgaben des APM lösen läßt. Ob mit Hunts Gestalt­algorithmus alle Aufgaben derColoured Progressive Matrices gelöst werden können, die ich den ersten drei Gruppen zugerechnet habe, wäre im Detail noch zu überprüfen. Manches spricht dafür. Sicher können die Aufgaben der vierten Gruppe(wie vermutlich alle anderen auch) mit Hunts analytischer Prozedur gelöst werden.

Diese analytische Prozedur von Hunt hat wesentliche Elemente gemeinsam mit meiner analytischen Prozedur des induk­

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tiven Denkens(vgl. Klauer 1989, 1991, 1993), die ebenfalls als präskriptives Konzept entwickelt worden ist. Nach Hunt sind die Operationen, mit deren Hilfe die jeweilige Regel entdeckt wird, Operations on sets of features and properties of subelements, rather than operations on sensory images(1974, S. 143). Es handelt sich also nicht um Ope­rationen im Wahrnehmungsfeld, sondern um Operationen mit Eigenschaften von Objekten und mit Relationen zwischen Objekten, wie dies in meiner Termino­logie lautet.

Hunt setzt aufgrund seiner Analysen vor­sichtig einige Fragezeichen hinter die übliche Interpretation des APM als ei­nes Maßes der allgemeinen Intelligenz g. Er meint, das könne nur für jene Auf­gaben gelten, die ausschließlich mittels der analytischen Prozedur lösbar seien. Aus meiner Sicht hat er allerdings nicht klar genug realisiert, daß seine Prozeß­modelle nicht solche deskriptiver Natur, sondern präskriptiver Natur sind. Die Modelle geben keine Auskunft darüber, wie die Menschen tatsächlich vorgehen. Es ist keineswegs ausgemacht, daß über­haupt ein Mensch einen der beiden Al­gorithmen von Hunt verwendet, und in­sofern gibt seine Analyse nichts für die Frage der Validität des Tests her. Sie zeigt nur, daß mit dem einen Algorith­mus ein Teil der Aufgaben und mit dem anderen Algorithmus alle Aufgaben 1ös­bar sind. Tatsächlich ist Hunt auch so vorsichtig, den Raven-Test keinesfalls zu verwerfen, er rät nur zur vorsichti­gen Interpretation.

Ein präskriptives Konzept ist in pädago­gischer Hinsicht ungemein interessan­ter als in psychologischer. Gefragt, wel­che der Huntschen Prozeduren denn ge­lehrt oder im Training vermittelt wer­den sollten, liegt es nahe, an das analy­tische Vorgehen zu denken. Wenn dies gleich gut lehrbar sein sollte, hätte es den großen Vorteil, auf alle Aufgaben des Tests und sicher auch noch auf manche andere anwendbar zu sein. Ähnlich habe ich zwei Lösungsproze­duren des induktiven Denkens entwik­kelt, eine Standardprozedur und eine Notfallprozedur, falls die Standardpro­zedur versagt. Die Notfallprozedur nen­

ne ich die analytische Lösungsstrategie, und sie hat mehr als nur zufällige Ähn­lichkeit mit der analytischen Hunts. Die Standardprozedur ist dagegen ein hypo­thesenerzeugendes und hypothesen­testendes Vorgehen, das vielfach rascher zum Ziel kommen, unter Umständen aber auch scheitern läßt. Interessant ist das alles insofern, als die Tests von Raven nach meinem Konzept induktives Denken erfordern, so daß die Lösungs­strategien auf die Raven-Tests ebenfalls anwendbar sind. Tatsächlich haben wir auch des öfteren einen der Tests als ab­hängige Variable benutzt, um den Trainingserfolg zu erfassen.

Nun könnte man also den Standpunkt vertreten, daß diese abhängigen Varia­blen wenig gut geeignet sind, um in­duktives Denken zu erfassen, weil sie etwa mit Hinweis auf Hunt auch durch Wahrnehmungsprozesse wie etwa durch Gestaltschließungsprozesse zumindest teilweise lösbar sind. Andere Autoren wie etwa Putz-Osterloh(1981) haben zeigen können, daß manche Testper­sonen Aufgaben des APM tatsächlich anders lösen als etwa durch induktives Denken. Die Autoren des CFT 20 schrei­ben beispielsweise, daß zwei der Subtests wahrnehmungsnahe Leistungen erfassen, obwohl die CFT-Tests ebenso wie die Raven-Tests als bewährte Instrumente zur Erfassung der fluiden Intelligenz gel­ten(welche ihrerseits enge Beziehun­gen zum induktiven Denken aufweist). Dies und ähnliche Überlegungen könn­ten also ein Argument sein, um die Eig­nung der Raven-Tests wie des CFT 20 zur Erfassung induktiver Leistungen in Frage zu stellen. Allerdings würde da­bei wiederum übersehen, daß wir es hier mit präskriptiven Prozeßmodellen zu tun haben. Wenn die Strategien des induk­tiven Denkens, wie sie den Trainings­programmen(Klauer 1989, 1991, 1993) zugrundeliegen, sich laut Theorie dazu eignen, induktives Denken zu realisie­ren, und wenn die Tests ebenfalls durch die Strategien des induktiven Denkens lösbar sind, so sind die Tests zweifellos valide Instrumente zur Erfassung des Er­folgs eines Trainings zum induktiven Denken. Jeder Test, dessen Aufgaben mit Hilfe der induktiven Strategien 1ös­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 4, 1994

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