Anteil der empirischen Arbeiten im engeren Sinne zunähme und die Forschung den vorherrschenden Status der bloßen Deskription hinter sich ließe. Wenn sie mehr als bisher zu Erklärungen durchstoßen könnte, und wenn sie mehr als bisher Wissen über Veränderungsbedingungen erwerben würde. Dazu ist die Erhöhung der methodischen Kompetenz in der empirischen Forschung eine Voraussetzung. Die feststellbare Zunahme differenzierter Datenerhebungs- und Auswertungsmethoden ist zu fördern. ® Langfristig wird empirische sonderpädagogische Forschung nur dann zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse Behinderter oder von Behinderung Bedrohter beitragen können, wenn sie Prävention, Intervention und deren Evaluation stärker ins Blickfeld nimmt, als dies bislang geschieht.
® Um dem Interaktionscharakter von Erziehung und Unterricht besser gerecht zu werden, ist die Forschung von ihrer einseitigen Orientierung auf den zu betreuenden Behinderten zu lösen. So wie der Pädgogik zuweilen der Vorwurf gemacht wird, sie kümmere sich zu wenig
Literatur
um die Behinderten, ist der sonderpädagogischen Forschung vorzuwerfen, daß sie sich wenig um die Nicht-Behinderten als Interaktionspartner der Behinderten bemüht.
® Indem Maße, in dem sonderpädagogische Förderung und Erziehung nicht nur in Sonderschulen, sondern auch integrativ in Regelschulen geschieht, wird sich die Forschung von der engen Orientierung am Sonderschulsystem 1ösen müssen. Eine innovative sonderpädagogische Forschung wird sich auch solcher Personen annehmen müssen, die im klassischen Sinne nicht als behindert gelten, die aber besonderer Förderung und Erziehung bedürfen. Beispielsweise könnte die Betreuung kranker Kinder (Allergien, Koronarkrankheiten, Diabetis), die unter lebenseinschränkenden Bedingungen leben, durchaus als eine besondere pädagogische Aufgabe gesehen werden, die nicht nur der Medizin überlassen sein sollte.
® Gesellschaftliche Integration beginnt mit der Geburt und endet erst mit dem Tode. Die sonderpädagogische Forschung sollte daher, wie in der Entwick
Hans-Peter Langfeldt& Franz. B. Wember+ 30 Jahre HEILPADAGOGISCHE FORSCHUNG: Bestandsaufnahme und inhaltsanalytische Reflexionen
lungspsychologie schon geschehen, eine Forschung der gesamten Lebensspanne werden. Sonderpädagogische Forschung sollte sich daher von der Fixierung am „behinderten Schulkind“ befreien und dem Bedürnis nach besonderer Förderung im Kleinkindalter ebenso Rechnung tragen wie dem im Erwachsenenalter.
® Der Erfolg oder Mißerfolg von Erziehung und gesellschaftlicher Integration hängt nicht nur von den kognitiven Fähigkeiten einer Person ab, sondern auch von deren Wünschen, Einstellungen, Gefühlen, Absichten, Motiven und sozialen Verhaltensweisen. Für eine erfolgreichere Erziehung und Förderung Behinderter bedarf es daher in diesen Bereichen mehr Forschung als bisher.
Kurz gesagt: Empirische sonderpädagogische Forschung ist auf ein methodisch höheres Niveau anzuheben. Der Kreis der Personen, auf den sich die Forschung bezieht, ist auszuweiten und die Forschungsthemen sind zu erweitern. Wir möchten die Leserinnen und Leser. der HEILPÄDOGISCHEN FORSCHUNG ermuntern, daran mitzuarbeiten.
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HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 4, 1994