Heft 
(2016) 102
Seite
12
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12 Fontane Blätter 102 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Nicht nur die Briefe Fontanes an meinen Urgroßvater, auch eine hand­schriftliche Abschrift des zweiten Aufsatzes, den er über Fontane ge­schrieben hat, haben die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts überdau­ert, in denen so vieles zerstört wurde, auch das Haus von Franz X. Riß. Schon das zeigt, welch ein Glücksfall es ist, dass diese Papiere heute noch erhalten sind. Wenn ich meinen Vater frage»Warum hat dein Groß­vater in so jungen Jahren ein so großes Interesse an Fontane gehegt?«, ist die Ant­wort kurz und knapp:»Es muss eine sehr sehr große Begei­sterung und Leidenschaft darin gelegen haben.« Ich selbst habe Franz Xaver Riß nicht mehr gekannt. Aber das Haus in der Säbenerstrasse in München, in dem er seit den 1930er Jahren gelebt hatte und das von dem Geist meiner Urgroß­eltern geprägt war, gehört für mich zu den wichtigsten Kindheitserinne­rungen. Die regelmäßigen Besuche dort waren für mich immer etwas Be­sonderes. Als Kind saß ich in seinem großen Lehnstuhl und lauschte den hitzigen Debatten der Älteren über politische Fragen. Nachdem ich die vergilbten Briefbogen gelesen hatte, die stumm in der Sekretärsschublade schlummerten, war ich der Überzeugung, dass sie es verdien­ten, ans Licht geholt zu werden. Aber auch die Texte, die Franz Riß über Fontane geschrieben hat, sol­len der Forschung zukünftig zur Verfügung stehen. Der kleine Aufsatz, für den der berühmte Schriftsteller seinem Verleger gegenüber so lobende Worte fand, ist der im Juli 1894 in der Münch­ner illustrierten Zeitschrift Allgemeine Kunst-Chronik erschiene Essay Theodor Fontanes Romane. Auf drei Seiten wird das epische Werk Fontanes, soweit es bis dahin vor­lag, vorgestellt und aus der Biographie erklärt, wobei auch Kriegsgefangen und der autobiographische Roman Meine Kinderjahre ausführlich gewür­digt werden. Mit einem Zitat aus dem Brief Fontanes setzt der Essay von Franz Riß ein:»Es überraschte mich, als ich etwa vor einem halben Jahre in Erfahrung brachte, dass Theodor Fontane, der ›Modernste der Moder­nen‹, zu den Nestoren der deutschen Schrift­steller­welt rechnet. Ich las es aus einem Briefe, in dem er auf mein Ersuchen um Mitteilung biographi­scher Notizen antwortete.« 6 Der Brief Fontanes vom 17. Dezember 1893, den Franz Riß in seinem Essay ausführlich zitierte, ist hier vollständig ab­gedruckt. Im Anschluss daran fuhr Riß fort:»Der ganze Fontane, fein, lie­benswürdig, humorvoll, spricht aus diesen wenigen Zeilen. Ich entging diesem Eindruck schon damals nicht, als ich den Brief las, obwohl ich bis dahin nur eines von Fontanes Werken, seine ›Frau Jenny Treibel‹ kennen gelernt hatte. Die weitere Beschäftigung mit denselben hat ihn mir nur bestärkt.« 7 Ausführlicher setzt sich Franz Riß in seinem zweiten Aufsatz mit Fontane­auseinander, nachdem er auch die anderen Werke Fontanes erhal­ten und gelesen hatte. Dieser Essay erschien in zwei Teilen im Juni und im Juli 1896 in der Braunschweiger Zeitschrift Neue Litterarische Blätter.