Theodor Fontane Riß 23 Fontane ist ein Sohn der sandigen Mark. In Neu-Ruppin wurde er am 30. Dezember 1819 geboren; seine Eltern besassen daselbst eine Apotheke. Als er sieben Jahr geworden war, siedelte die Familie nach Swinemünde über; doch schon nach kurzer Zeit wurde der junge Theodor nach NeuRuppin zurückgebracht, um das Gymnasium zu besuchen. Auch in seinem späteren Leben hielt er sich viel in dieser Stadt auf, sodass dieselbe wohl als seine Vaterstadt betrachtet werden kann. Seit langer Zeit lebt er in Berlin; das ist für seine litterarische Thätigkeit beachtenswert. Er ist ein Märker, aber er hat auch etwas vom Berliner an sich; und der Berliner ist ja nicht sowohl eine Art des Märkers, als vielmehr etwas zu demselben Gegensätzliches. Tiefgehend äussert sich der Einfluss Berlins auf ihn freilich nicht. Wenn er die Mark schildert, so klingt es aus seinen Worten, dass er von seinem Vaterlande spricht; wenn|[S. 253] er sich mit Berliner Verhältnissen beschäftigt, so merkt man wohl, dass er sie genau kennt, weniger, dass er mitten in ihnen lebt. Er ist Beobachter, nicht Beteiligter. Sein erster Beruf war der seines Vaters; er blieb ihm nicht lange treu. Früh hervortretende Gewandtheit im Darstellen und Erzählen führte ihn zu ansprechenderer Thätigkeit. Kleine Aufsätze in verschiedenen Zeitungen brachten ermutigenden Beifall ein. Sie sind jetzt, mit den Blättern, in denen sie erschienen sind, verstreut; ein Vergleich seiner damaligen Schreibweise mit der jetzigen, der gerade darum von Interesse wäre, weil der letzteren die reiche Lebenserfahrung ihren eigentlichen Charakter aufprägt, ist nicht möglich. Zu Beginn der fünfziger Jahre erschienen rasch nacheinander drei dichterische Werke Fontanes:»Männer und Helden, acht Preussenlieder,« »Von der schönen Rosamunde, ein Romanzencyklus,«»Gedichte«. Das sind seine eigentlichen Erstlingsschöpfungen. Die glückliche Wahl des Stoffes und die mit Geschick und Fleiss bethätigte Ausarbeitung erwarben ihnen viele Freunde. Der Band»Gedichte« ist, im Laufe der Zeit nicht unerheblich bereichert, im Jahre 1892 in vierter Auflage herausgekommen; er umfasst in seiner jetzigen Gestalt so ziemlich Alles, was Theodor Fontane in gebundener Rede schrieb, auch die erstgenannten kleineren Dichtungen und die im Jahre 1861 zuerst erschienen»Balladen«. Der Erstehungszeit nach erstreckt sich sein Inhalt über mehr als vierzig Jahre; soweit Angaben darüber vorhanden sind, stammt das früheste Gedicht aus dem Jahre 1842, das späteste aus dem Jahre 1888. Das Schwergewicht, nicht nur der Zahl, sondern auch der Bedeutung nach, liegt in den Balladen. Wären sie sämtlich frei erfunden, so würden sie Fontane zu einem unserer ersten Balladendichter machen; ein ehrenvoller Platz unter denselben ist ihm immer gesichert. Schon das erste Werk dieser Art, die Lieder von der schönen Rosamunde von Clifford, der Geliebten Heinrich II. von England, deren Schicksal so viel besungen ist, verrät eine entschiedene Begabung, wenn es auch noch mehrfach unfrei und nach
Heft
(2016) 102
Seite
23
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