Heft 
(2016) 102
Seite
24
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24 Fontane Blätter 102 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes ­Regeln gearbeitet erscheint. Eine kräftige Förderung brachte ein mehrma­liger, länger dauernder Aufenthalt in England. Hier wurde er nicht nur mit dem eigentümlichen Ton vertraut, der die englischen Balladen auszeichnet, sondern es floss ihm auch in Fülle sangeswerter Stoff aus der an einzelnen Episoden so reichen Geschichte dieses Landes zu. Was er las in alten Sam­melwerken, was er vernahm bei seinen Fahrten im schottischen Hochland, bald in schlichter Sage, bald schon im Klang des Liedes gefasst, das suchte er sich anzueignen und in deutscher Zunge wiederzugeben. Eine stattliche Reihe von Balladen entstand auf solche Art. Manche darunter hält sich zu sehr an das Vorbild und kommt so zu Härten, welche die deutsche Sprache nicht verträgt; manche ist zu reich ausgearbeitet und entfernt sich dadurch von dem einfachen Tone, der die Ballade, das Volkslied epischen Charakters, kennzeichnen soll. Die Mehrzahl aber ist ­geradezu vollendet schön; es finden sich wahre Perlen darunter. Statt vieler sei nur eine erwähnt:»Archibald Douglas«, durch Löwes Komposition in weiteren Kreisen wohl bekannt. An die englischen Balladen reihen sich solche, welche ihren Stoff der nordischen Sage, und weiter solche, welche ihn der märkischen Geschichte entnehmen. Die letzteren sind von besonderem Interesse. Fontane fand die Anregung dazu auf Wanderungen in seiner Hemat, in der Mark. Er wan­derte darin gern und viel, besonders in Gegenden, die fernab der breiten Strasse liegen. Wer offenen Auges geht und empfänglichen Herzens, der erfährt hier Ungeahntes.»Jeder Fuss breit Erde belebt sich und giebt Ge­stalten heraus« sagt Fontane selbst. Die Lieder, die er hier schuf, machen ihn zum patriotischen Dichter. Er schilderte die ersten Kämpfe der Zollern in der Mark, sei es mit ihren eigenen Rittern, sei es mit den neidischen Nachbarn, besonders den Pommern; alte Texte, die er hierüber vorfand, dienten ihm als Grundlage. Er sang von den Zeiten des grossen Kurfürsten und des grossen Königs, von Seydlitz, von Schwerin und von dem alten Derfflinger. Er folgte der preussischen Geschichte bis in die Gegenwart, und die Gedichte, in denen er von den letzten Tagen des edlen Kaisers Friedrichs, des Unvergesslichen, spricht, zählen zu seinen besten. Mit Ge­schick ist hier verwendet, was aus den englischen Balladen zu lernen war, und doch gleichzeitig darauf Bedacht genommen, der Verschiedenheit des Stoffes auch im Äusseren gerecht zu werden. Es ist eine eigentümliche Fügung, dass Fontane zum berufenen Sänger preussischer Art und preussischen Ruhmes wurde. Seiner Abstammung nach ist er Franzose. Die beiden Eltern gehörten der französischen Kolonie in Berlin an; die Vorfahren des Vaters waren aus der Gascogne, die der Mut­ter aus den Cevennen dorthin gezogen. Wohl waren, als Fontane geboren wurde, seitdem mehr als hundert Jahre verflossen; aber wenn sich auch die Mitglieder der Kolonie inzwischen in der Mark eingewöhnt hatten, ihre Er­innerungen und ihre Sondereigenschaften hatten sie trotzdem immer noch