Theodor Fontane Riß 25 gewahrt. Auch in Fontanes Familie wurden die stets noch lebendigen Beziehungen zu Frankreich,»dem reicheren Land der älteren Kultur und der wärmeren Sonne«, sorgsam gepflegt. Er lernte die französische Sprache in seiner Jugend nicht als eine fremde. Das machte ihn noch nicht zum Franzosen, es hinderte auch nicht, dass er die Mark als seine Heimat betrachtete und liebte; aber es bewahrte ihn davor, dies mit der voreingenommenen Neigung zu thun, die gerade den Altmärkern eigen ist, und die nur das als richtig und wertvoll anerkennt, was innerhalb der rot- weissen Grenzpfähle entstanden ist. Fontane kam früh dazu, Vergleiche zwischen dem anzustellen, was ihn umgab, und dem, was darüber hinauslag; das|[S. 254] schaffte ihm einen klaren Blick und ein unbefangenes Urteil. Seine Liebe zur Mark entsprang nicht nur dem Gefühl, das die Heimatszugehörigkeit wachruft, sondern auch der Erkenntnis der Vorzüge, welche sie umschloss. Sie wurde dadurch wohl besonnener, aber auch fester; und fehlt seinen Liedern auch das Feuer der Begeisterung, das die anderer preussischer Dichter auszeichnet, so sind sie darum um nicht weniger warm und tief gefühlt. Fontanes frühestes Leben war auch in anderer Weise dazu angethan, ihn zu vergleichender Prüfung dessen, was ihm entgegentrat, zu veranlassen. Die Ehe seiner Eltern war keine glückliche. Tiefgehende Sinnesverschiedenheit hinderte sie, trotz der Vortrefflichkeit ihrer Charaktere, am notwendigen gegenseitigen Verständnis. Der Vater war, wie ihn Fontane selber schildert, ein grosser, stattlicher Gascogner, voll Bonhommie, dabei Phantast und Humorist, Plauderer und Geschichtenerzähler, und als solcher, wenn ihm am wohlsten war, kleinen Gasconnaden nicht abhold; die Mutter, ein Kind der südlichen Cevennen, eine schlanke, zierliche Frau mit schwarzem Haar, mit Augen wie Kohlen, energisch, selbsuchtlos und ganz Charakter, aber von grosser Leidenschaftlichkeit. Häuslicher Zwist war dadurch unvermeidlich. Oft genug standen die Kinder zwischen den Eltern, nach beiden Seiten hingezogen, ungewiss, wessen Partei sie ergreifen sollten. Theodor, als der Erstling, war der Liebling der Mutter, in der Charakteranlage aber mehr nach dem Vater geartet. Um so mehr zwang es ihn schon in früher Jugend, in all diesen Fällen jedes Für und Wider gegeneinander abzuwägen. Das konnte für seine spätere Entwicklung nicht bedeutungslos bleiben. Wer sich eng verwachsen fühlt mit den Dingen, die ihn umgeben, der mag aus diesem Gefühl der Zusammengehörigkeit in bedrängten Zeiten die Kraft zu grossen Thaten schöpfen. Die Männer, die durch Thaten gross geworden sind, wurzelten meist mit allen Fasern ihres Denkens und Fühlens in dem Lande, das ihnen zum Wirkungskreis bestimmt war. Wenn es sich aber darum handelt, mit klarem Auge die Umgebung zu schauen und mit klarem Wort sie zu schildern, da ist der besser daran, der nicht in jeder Hinsicht eins mit dieser Umgebung ist. Er vermag sie von gesondertem Standpunkt aus zu übersehen und ruhig das in seiner Entwicklung zu
Heft
(2016) 102
Seite
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