Heft 
(2016) 102
Seite
26
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26 Fontane Blätter 102 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes ­beobachten, was den inmitten Stehenden mitreisst oder abstösst, jeden­falls aber verwirrt. Fontane würde das Berliner Leben nicht mit solcher Anschaulichkeit darstellen, wenn er von Jugend an sich in Berlin aufgehal­ten hätte; er würde nicht die ihm eigene Meisterschaft in der Beschreibung der Mark bekunden, wenn er nicht neben der Mark auch noch eine zweite, wenn ihm auch ferner liegende Heimat besässe; er würde nicht die intims­ten Stimmungen des Daseins mit solcher Feinfühligkeit erlauschen und mit solcher Anmut wiedergeben können, wäre ihm nicht schon in der Kindheit der Zwang entgegen­getreten, hierauf sein Augenmerk zu richten und sich darüber Klarheit zu verschaffen. In den fünfziger Jahren veröffentlichte Fontane ausser seinen Dich­tungen noch ein»Dichteralbum« und gemeinsam mit Franz Kugler, dem Kunsthistoriker und Dichter, ein belletristisches Jahrbuch»Argo«; ferner als Ergebnis seiner Reisen in England das beschreibende Werk:»Ein ­Sommer in London«, dem sich im Jahre 1860»Briefe über Londoner Thea­ter, Kunst und Presse« und»Jenseits des Tweed, Bilder und Briefe aus Schottland« anschlossen. Der Aufenthalt in Schottland regte in Fontane einen Gedanken an, mit dessen Ausführung er alsbald nach seiner Rückkehr den Anfang machte. Auf dem Leven-See in der Grafschaft Kinross, in dessen Mitte sich das alte, vielbesungene Douglas-Schloss Lochleven-Castle erhebt, gedachte er ei­nes früheren Tages, da er auf dem waldumschlossenen See vor Schloss Rheinsberg in der Mark fuhr und die Erinnerung ihm das Schloss mit Flü­geln und Türmen, mit Hof und Treppe durch die Gestalten bevölkerte, die einst hier gelebt.»Und da, sagte er, trat die Frage an mich heran: so schön dies Bild war, das der Leven-See mit seiner Insel und seinem Douglas­Schloss vor Dir entrollte, war jener Tag minder schön, als Du im Flachboot über den Rheinsberger See fuhrst, die Schöpfungen und Erinnerungen einer grossen Zeit um Dich her? Und ich antwortete: Nein«. Die Fremde hatte ihn, wie so manchen Anderen, den Wert der Heimat erst eigentlich schätzen gelehrt. Über zwanzig Jahre lang arbeitete Fontane an seinem Hauptwerk, den »Wanderungen durch die Mark Brandenburg«. Im Jahre 1861 erschien der erste, im Jahre 1881 der vierte Band; eine weitere Schrift, die in gewissem Sinne eine Ergänzung dieser vier Bände ist, folgte unter dem Titel»Fünf Schlösser« im Jahre 1889. Damit war ein grosses und kühnes Unternehmen erfolgreich zum Abschluss gebracht. Was sich über die Mark erzählen liess, das konnte und ganz besonders in der Zeit, da Fontane mit der Veröffent­lichung der»Wanderungen« begann nur auf einen ziemlich engen Leser­kreis rechnen; und dieser enge Kreis bestand vorwiegend aus Personen, die anerkanntermaassen schwer zufriedenzustellen waren. Aber Fontane er­füllte die Voraussetzungen, um sich an die Sache wagen zu dürfen. Er kannte­die Mark und lernte sie auf seinen Steifzügen immer genauer kennen, und