Theodor Fontane Riß 31 überall, dass er es liebt, das eine gegen das andere abzuwägen. Unterschiede des Stammes, der Religion, der gesellschaftlichen Rangklasse, des Alters, der Bildung, nicht im äusseren Widerstreit zueinander, aber innerlich sich doch nicht ganz zusammengebend, fesseln ihn und mit ihrer Darstellung weiss er zu fesseln. Durch Zusammenstellung kleiner Einzelheiten schafft er dabei eine Klarheit der Gesamtstimmung, dass er nicht nötig hat, die eigentliche Handlung mit starken Strichen hervorzuheben; man errät sie, man liest sie zwischen den Zeilen. Und darin liegt ein unversiegbarer Reiz. Stets aber ist die Schilderung des Kleinen, so anziehend sie an und für sich schon sich darbietet, nur das Mittel, nicht der Zweck; der einheitliche Grundzug geht nirgends und niemals verloren. In den späteren Romanen gelangt das mit steigender Bestimmtheit zur Geltung. Es ist nur noch ein geschichtlicher darunter:»Schach von Wuthenow«, aus der Zeit des Regiments Gensdarmes. Zeitlich schliesst er sich dem Erscheinen nach nicht direkt an den ersten Roman, ist vielmehr durch »Grete Minde« und»Ellernklipp« davon getrennt; ich vermute, dass auch »Unterm Birnbaum«, das mit»Ellernklipp« nahe verwandt ist, aus dieser Zeit stammt, obwohl mir ein äusserer Anhaltspunkt hierfür abgeht. Fontanekommt hier seinem richtigen Fahrwasser bereits näher, ohne sich jedoch schon vollständig in dasselbe zu wagen. Er ist, möchte ich sagen, nicht kühn genug, auf einen Hintergrund zu verzichten, sei es, dass als solcher die geschichtliche Thatsache oder ein einschneidendes Ereignis, wie in»Ellernklipp« und»Unterm Birnbaum« ein Verbrechen, gewählt wird. Gerade ein solcher Hintergrund ist aber für die feine Ausarbeitung der Details zu stark oder zu dunkel; er stört bei ihrer Betrachtung und sie wären der Betrachtung doch wert. Sobald Fontane von ihm absieht, seine Zeichnungen gewissermaassen in das einfache Licht des Tages stellt, vermögen sich ihre Reize ungehindert zu entfalten. Mit den drei folgenden Romanen»L’Adultera«,»Graf Petöfy«,»Cecile« befindet sich Fontane auf der Höhe. Hier offenbart sich das volle Menschenleben. Die Handlung ist einfach, man möchte sagen gesucht einfach; Dinge, die sich alle Tage ereignen und noch dazu – echt|[S. 293] Fontanes Art – mehr angedeutet als ausgeführt. Was ausgeführt wird, sind nur die scheinbaren Nebensächlichkeiten, in denen sich aber schliesslich stets die Bedeutung des menschlichen Lebens zusammendrängt. Die einen reden von Zufall, die anderen von planvollem Walten; die Thatsachen selbst aber bestehen jedenfalls. Das bei Fontanes stets beliebte Abwägen von Gegensätzen, das in der Regel nicht urteilt, sondern lediglich das Charakteristische, insbesondere das Schöne auf jeder Seite hervorhebt, wird hier zur Grundlage des Ganzen; es handelt sich um Problemromane. Wer ein langes Leben mit offenen Augen durchwandert hat, der beschäftigt sich gern mit Problemen. Der Philosoph sucht sie auf logischem Wege zu lösen; der Dichter verfolgt sie im Geschick der Personen, mit denen er sich beschäftigt. Dass
Heft
(2016) 102
Seite
31
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