Heft 
(2016) 102
Seite
33
Einzelbild herunterladen

Theodor Fontane  Riß 33 mir ferne, deswegen mit Fontane zu rechten. Ihm ist der Rahmen seiner Erzählung das Gleichgiltige; wie er ihn belebt, darin liegt seine Kunst und seine Stärke. Er hat nicht das Schaffen von innen heraus, das nur die Hauptsache im Auge behält und Nebensächliches vernachlässigt; aber ge­rade durch die zielbewusste Behandlung der Nebensachen erreicht er den in der Hauptsache angestrebten Erfolg um so sicherer, als er seine Absicht nicht unverhüllt zu Tage treten lässt, sondern sie mit berechnender Klug­heit verschleiert. Mit den Berliner Romanen»Irrungen, Wirrungen«,»Stine«,»Frau Jenny­Treibel« geht Fontane noch einen Schritt weiter. Die Handlung ver­einfacht sich in ihnen so sehr, dass alles sich eigentlich in Stimmungsbild­chen auflöst, die nur durch die Personen zusammenhängen. Auf den Perso­nen, die unmittelbar der Wirklichkeit nachgebildet sind, ruht das ganze Interesse. Fontane weiss dem täglichen Leben seine eigenartigen Züge ab­zulauschen und sie mit jenem intimen Reiz wiederzugeben, der das schein­bar unbedeutendste beachtenswert und anziehend erscheinen lässt. Die Grenze, jenseits derer die Lebenswahrheit zur Trivialität wird, überschrei­tet er nie; davor behütet ihn sein sicheres Feingefühl. Unter den Romanen Fontanes findet sich auch die Schilderung seiner Kinderjahre. Die Bezeichnung Roman klingt hier seltsam. Sie will wohl sa­gen, dass Wahrheit und Dichtung darin gemischt sind. Sein später erschie­nenes Werk»Von, vor und nach der Reise« hat Fontane Plaudereien und kleine Geschichten benannt; hiermit wurde auch der Charakter der»Kin­derjahre« am besten getroffen. Sie bestehen ausschliesslich aus der Erzäh­lung kleiner Erlebnisse. Das Buch hält sich nicht auf der Höhe der voraus­gehenden Werke; einzelne Teile aber sind von hervorragender Schönheit, so insbesondere die Charakteristik der Eltern des Verfassers.|[S. 294] Mit dem anspruchslosen, aber durch den Reiz der Darstellung sich gleich allen genannten Werken auszeichnenden Büchlein»Von, vor und nach der Reise« hat Fontane wieder auf das Gebiet zurückgegriffen, auf dem er vor mehr als einem halben Jahrhundert seine ersten schriftstelleri­schen Versuche machte. Er hat seit jener Zeit durch grössere Arbeiten reichlich Anerkennung gefunden; aber auch ihre eigentliche Stärke liegt in dem gleichen Vorzug, der die kleineren so besonders auszeichnet und bei ihnen, weil hier erst recht am Platze, am liebenswürdigsten hervortritt, in Fontanes hervorragender Veranlagung zur leichten, geist­rei­chen Plaude­rei. Zu der Schreibart, wo er diese Gabe am ungezwungensten zur Geltung bringen kann, zieht es ihn immer wieder zurück. Seinen Vater bezeichnet er in der ausserordentlich feinen Schilderung, die er von ihm giebt, als Plauderer und Geschichten­erzähler. Er hat das auf ihn gekommene väterli­che Erbe redlich verwaltet: mit Fug und Recht führt er den Namen eines unserer ersten Meister im Plaudern und Erzählen.