Heft 
(2016) 102
Seite
40
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40 Fontane Blätter 102 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Soweit erkennbar ist Max Bernstein der erste Rezensent 35 von Irrungen, Wirrungen, der die Bedeutung der letzten Sätze des Romans als»sinn­schwere[s] Schlußwort« hervorhebt, das erst viel später Charlotte Jolles in ihrem bekannten Aufsatz» Gideon ist besser als Botho« zusammen mit Schluss-Sätzen anderer Erzählungen eingehend analysiert hat. 36 Bernstein interpretiert diesen Schluss so, dass»der Dichter«, also Fontane selbst, sich damit»zu Gunsten« von Gideon Franke erklärt, des Mannes also, der Lene Nimptsch heiratet. Da jedoch nicht Fontane als Person oder ›als Erzähler‹ des Romans, sondern Botho von Rienäcker als Figur diese Bewertung in ei­nem Gespräch mit seiner Frau Käthe selbst äußert, kann m.E. ein Leser des Romans Bothos letzten Satz als mehrdeutig und ›offener‹ verstehen: auch als Zweifel des adeligen Offiziers an sich selbst und damit an der Tiefe oder Stabilität der zukünftigen Beziehung zu seiner Frau Käthe oder als seine Einsicht, dass es Lene mit ihrem Fabrikmeister»besser« haben wird als mit ihm. Fontane überlässt in Irrungen, Wirrungen wie in anderen seiner Erzählungen ein Urteil über die Figuren und ein ›Weiterdenken‹ des mög­lichen Geschehens offensichtlich seinen Lesern. III. Es ist nicht belegt, ob Fontane die Rezension von Bernstein gekannt hat, aber aufgrund der netzartigen persönlichen Beziehungen der beiderseiti­gen Freunde und Bekannten ist das sehr wahrscheinlich. Spätestens Ende 1891 oder Anfang 1892 hat Fontane Max Bernstein jedoch auch persönlich kennen gelernt, denn am 31.3.1892 schreibt er dem Mitinhaber der Vossi­schen Zeitung, Carl Robert Lessing in einer schweren Stunde, dass Bern­stein ihm»das vorige Mal seinen Besuch« gemacht habe und er vielleicht Brahm, vielleicht Bernstein selbst»die kleine Geschichte erzählt« habe. 37 Diese»kleine Geschichte« war tatsächlich jedoch ein sehr großes Problem für Fontane und zeigt gleichzeitig, wie gefährlich seine Bekanntschaft mit Bernstein für ihn persönlich geworden war. Es ist hier ist nicht der Ort, dem vertieft nachzugehen, daher nur das Wichtigste. Mit der Vormittags­post vom 31.3. hatte Lessing bei Fontane angefragt wegen der»Geschich­te«. Er war nämlich am Vortag in einem Aufsehen erregenden Privatklage­Prozess vor dem Landgericht Berlin von Rechtsanwalt Bernstein als Zeuge befragt worden und musste über sich selbst sehr peinliche Dinge aussa­gen; auch einige Redakteure der Vossischen, darunter Chefredakteur Friedrich Stephany und Paul Schlenther, hatten aussagen müssen. In die­sem verfahrensmäßig etwas komplizierten Prozess wegen Verleumdung ging es um die Kündigung des Journalisten Dr. Paul Marx durch die Vossi­sche Zeitung von Juni 1891 wegen angeblicher Unfähigkeit, in»Wahrheit aber weil er Jude ist«, wie Fontane seiner Tochter Martha schrieb. 38