Heft 
(2016) 102
Seite
41
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Max Bernsteins Rezension  Hölscher 41 Prozessentscheidende Hinweise über eine mögliche antisemitische Einstel­lung von Carl Robert Lessing hatte Bernstein, der die Vertretung von Paul Marx auch in der Berufungsinstanz übernommen hatte, indirekt und direkt ausgerechnet von Fontane erhalten und sich bei der öffentlichen Zeugenbe­fragung ausdrücklich auf ihn als Informanten gestützt. Der Prozess ging zugunsten von Paul Marx aus. All das stand am folgenden Morgen, dem 31.3., nicht nur in der Vossischen, sondern auch in den Konkurrenz-Blättern jeder Couleur mit den Namen aller hochrangigen Zeugen sowie des Infor­manten Fontane und hat dessen Verhältnis zu Lessing, seinem langjähri­gen und großzügigen Arbeitgeber, jahrelang schwer belastet. 39 (Dem­nächst möchte ich versuchen, die juristischen und biographischen Details dieser»Paul-Marx-Affäre« sowie ihre Auswirkung für Fontane weiter auf­zuklären.) Bernsteins»Besuch« bei Fontane legt nahe, dass sie sich schon vorher kannten. Denn er war offensichtlich nicht ›geschäftsmäßig‹ oder als An­walt von Paul Marx gekommen, sondern eher persönlich, als Bekannter oder ›Freund von Freunden‹, vielleicht sogar als ein ›literarischer Kollege‹, der auch Theaterbriefe schrieb, wie Fontane seit Mitte 1870 seine Theater­kritiken in der Vossischen. Wie sehr Fontane vom Auftritt des Rechtsan­walts im Paul-Marx-Prozess betroffen war, lässt sich nur erahnen. Denn obwohl Bernstein nachweislich weiterhin Kontakt suchte, ist eine Antwort von Fontane nicht bekannt. So schrieb Bernstein im November 1892 eine ausführliche Rezension zu Frau Jenny Treibel; dieses Mal war er der erste, der seine Meinung zur Buchausgabe veröffentlichte. 40 Es ist denkbar, dass er sie auf Anregung von Otto Brahm geschrieben hat, den Fontane am 22.10.1892 ausdrücklich um»ein paar freundliche Worte« gebeten hatte, der jedoch selbst zu diesem Roman nichts geschrieben hat. Bernsteins Re­zension klingt mit der Anrede»Aber, Herr Fontane«, mit Bezügen auf ihre Bekanntschaft, auf Fontanes»Lächeln« oder auch sein»weinen können« sehr persönlich und fast freundschaftlich-intim. Er schmeichelt Fontane sogar mit einem Vergleich zu Goethe und Turgenjew. Unabhängig von ei­ner gewissen literarischen Diskussion legt der gesamte Ton dieser Rezen­sion nahe, dass Bernstein sie als eine Art ›Wiedergutmachung‹ geschrie­ben hat. 41 Ein Dankesschreiben Fontanes an ihn ist nicht bekannt. Auch zu Fontanes Geburtstagen schrieb Bernstein Briefe oder Karten mit Glückwünschen. So befindet sich in der Handschrift von Effi Briest zu Kapitel 24 auf zwei Rückseiten verteilt ein kurzes Geburtstagsschreiben vom 28.12.1893 aus München an den»hochverehrten Herrn« Fontane mit »herzlichsten Wünschen« und»besten Empfehlungen« vom»ganz ergebe­nen M. Bernstein.« 42