42 Fontane Blätter 102 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Für die Zeit danach gibt es noch einige Hinweise auf Kontakte zum Geburtstag, wie z.B. indirekt im Brief Fontanes an Gustav Keyssner vom 2.4.1895, in dem er sich für dessen»Blumengruß und die zierlichen Verse« bedankt, für die er zuvor schon irrtümlicherweise einen Dankesbrief an »die liebenswürdige Frau Dr. Bernstein« geschickt hatte. Und nach dem 76. Geburtstag herrscht wohl etwas»Confusion« auf seinem Schreibtisch: Fontane konnte vorübergehend das für eine Antwort vorgefertigte»Couvert an Dr. Max Bernstein, München« nicht finden, wie er am 2.1.1896 an Georg Friedlaender schreibt. 43 Trotz Bernsteins sehr positiver Rezensionen und gemeinsamer Freunde scheint die Verbindung Fontanes zu ihm sehr distanziert gewesen zu sein und auf das Nötigste an Höflichkeit beschränkt. Gelegentlich ist zu lesen, Fontane sei Gast im Sonntags-Salon von Elsa und Max Bernstein gewesen, 44 den sie seit Anfang der 1890er Jahre in München führten, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Diese auf einem Brief des alten Thomas Mann an Henry Remak vom 21.7.1954 45 zurück gehende Darstellung trifft jedoch nicht zu, da Fontane nach 1875 nicht mehr in München war. Er hatte zwar gelegentlich Pläne, dorthin zu reisen, sie hatten sich aber zerschlagen, und»die weiten Reisen« fingen an, ihm»langweilig zu werden«, wie er schon am 11.7.1884 an Philipp Graf zu Eulenburg nach München schrieb. Es deutet also nichts darauf hin, dass Fontane Max Bernstein nach dem problematischen»Besuch« vor dem Paul-Marx-Prozess nochmals getroffen hat. Dennoch könnte dieser als Rechtsanwalt einen gewissermaßen ›letzten Auftritt‹ in Fontanes Leben gehabt haben- als Romanfigur in Der Stechlin. Immerhin findet sich das Wort»Rechtsanwalt« und die Figur eines Rechtsanwalts im gesamten Erzählwerk Fontanes allein in diesem Roman. 46 Hier blättert der Dorfschullehrer Krippenstapel bei der Wahlvorbereitung(im 17. Kapitel) zunächst sehr treffend und in schönster Ironie»wie ein Rechtsanwalt in einer Anzahl von Papieren«. Er erhält nach dem Verlesen eines kurzen Schriftstücks, das Oberförster Katzler als Leiter der Versammlung aufgesetzt hat, wegen seiner»Betonungen« und seines Schlussappells einen»ungeheuren Beifall«, obwohl er nur wiederholt, was der entschiedene Nichtredner Katzler eigentlich vorher schon gesagt hatte. 47 Es klingt zunächst vielleicht etwas weit hergeholt, wenn man diese kurze Szene mit dem tatsächlichen Rechtsanwalt Bernstein in Verbindung bringt, dazu fehlen einem heutigen Leser die historischen Kenntnisse. Wer jedoch vergleicht, wie der Anwalts-Kollege Max Hirschberg den Rechtsanwalt und seine Auftritte vor Gericht mit wenigen Worten charakterisiert, könnte Krippenstapels Auftritt durchaus als eine parodistische Anspielung auf Bernstein verstehen. Hirschberg schreibt:»Bernstein war kein bedeutender Jurist, aber ein volkstümlicher Verteidiger, der vor den Geschworenen durch seine Rednergabe Triumphe erntete.« 48 Fontanes hintergründige
Heft
(2016) 102
Seite
42
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