Heft 
(2016) 102
Seite
50
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50 Fontane Blätter 102 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Pflegemutter, die alte Wäscherin Frau Nimptsch, und ihre Nachbarin, die Gärtnersfrau Dörr mögen den freundlichen, vornehmen Herrn wohl leiden. Nur sehen sie mit Bangen, daß Lene eine tiefere Leidenschaft emp­findet, als sonst unter solchen Umständen aufgewendet zu werden pflegt. »Die Lene-«, meint die gute Frau Dörr,»Jott, ein Engel is sie woll grade auch nich, aber proper und fleißig, un kann Alles und is für Ordnung un für`s Reelle. Und sehen Sie, liebe Frau Nimptsch, das is grade das Traurige. Was da so ´rumfliegt, heute hier un morgen da, na, das kommt nicht um, das fällt wie die Katz` immer wieder auf die vier Beine, aber so ´n gutes Kind, das Alles ernsthaft nimmt und alles aus Liebe thut, ja, das is schlimm.« Dieselbe Meinung äußert eine leichtfertige Theaterdame, welcher, in Begleitung zweier anderer Damen und einiger Freunde Botho´s, dieser mit Lene ­während eines Ausfluges begegnet:»Jott, Kind,« sagt sie zu Lene,»Sie sind woll am Ende mit hier(auf`s Herz deutend) dabei und thun Alles aus Liebe? Ja, Kind, denn is es schlimm, denn gibt es ´nen Kladderadatsch.« Der Tag dieses Ausfluges ist der letzte, den die Liebenden mit einander verleben. Der Baron erhält von seiner Mutter einen Brief, worin sie ihm seine Pflicht darthut, den Geldverlegenheiten der Familie durch eine standesgemäße reiche Heirat mit dem Edelfräulein Käthe v. Sellenthin, um deren Gunst er eifrig und nicht erfolglos schon geworben, ein Ende zu machen. Er gesteht sich, daß seine Mutter Recht hat. Ein schmerzliches Geständniß:»Es liegt nicht in mir, die Welt herauszufordern und ihr und ihren Vorurtheilen öf­fentlich den Krieg zu erklären; ich bin durchaus gegen solche Donquixote­rien. Alles, was ich wollte, war ein verschwiegenes Glück, ein Glück für das ich früher oder später, um des ihr ersparten Affronts willen, die stille Gut­heißung der Gesellschaft erwartete. So war mein Traum, so gingen meine Hoffnungen und Gedanken. Und nun soll ich heraus aus diesem Glück und soll ein anderes eintauschen, das mir keines ist.« Aber da er die Allgemein­heit nicht zu bekämpfen wagt, muß er ihr gehorchen:»Das Herkommen be­stimmt unser Thun. Wer ihm gehorcht, kann zu Grunde gehen, aber er geht besser zu Grunde als der, der ihm widerspricht Wenn unsere märkischen Leute sich verheiraten, so reden sie nicht von Leidenschaft und Liebe, sie sagen nur: Ich muß doch meine Ordnung haben. Und das ist ein schöner Zug im Leben unseres Volkes und nicht einmal prosaisch. Und nun frag` ich mich: war mein Leben in der Ordnung? Nein. Ordnung ist Ehe.« Botho und Lene trennen sich, ohne Groll, in stiller Trauer. Einige Jahre vergehen. Was Lene vorausgesagt, wird wahr:»Es rückt sich Alles wieder zurecht, auch das.« Freilich nicht ohne Schmerz. Botho`s Seele wird oft von der Erinnerung an die Geliebte mit Macht ergriffen. Er mißt daran, was er besitzt, und erkennt, was ihm fehlt. Seine Frau ist jung, schön, gutmüthig, liebenswürdig und liebt ihn. Aber ihre Natur ist weder tief noch stark. Auch er fühlt herzliche Zuneigung, ohne ihre Mängel zu übersehen. Er be­gnügt sich mit dem bescheidenen Maße von Glück, das er sich bereitet hat.