Theodor Fontane´s »Irrungen, Wirrungen« Bernstein 51 Und was die Gärtnersfrau und die Theaterdame, jede in ihrer Weise, gesagt, hören wir zum dritten Male aus seinem Munde, die späte Weisheit trüber Erfahrung:»Vieles ist erlaubt, nur nicht das, was die Seele trifft, nur nicht Herzen hineinziehen und wenn`s auch bloß das eigene wäre.« Lene lebt ruhig dahin, sein Andenken liebevoll bewahrend. Sie lernt einen frommen redlichen Mann kennen, der sie liebt und heiraten will, auch nachdem sie ihm ihre Vergangenheit enthüllt hat. Sie nimmt seine Werbung an; sie wird ihm eine treue brave Frau sein. Botho`s Gemahlin findet zufällig die Vermählung in einem Tagesblatt angezeigt und die ihr unbekannten Namen erscheinen ihr so drollig, daß sie die Anzeige ihrem Gatten vorliest: ›Ihre heute vollzogene Verbindung zeigen ergebenst an: Gideon Franke, Fabrikmeister, Magdalena Franke, geb. Nimptsch.‹ Nimptsch! Kannst Du Dir etwas Komischeres denken? Und dann Gideon!« Er aber erwidert:»Was hast Du nur gegen Gideon, Käthe? Gideon ist besser als Botho.« Mit diesem sinnschweren Schlußwort erklärt sich der Dichter, wenn anders wir ihn recht verstehen, zu Gunsten des Mannes, der nach der liebereichen Einfalt seines Herzens handelt, im Vergleiche mit dem Anderen, der die Forderung der Welt erfüllt hat und den er darum nicht rühmt, aber auch nicht mißbilligt. Er theilt überall nicht Lob und Tadel aus. Er schildert die Welt, wie sie ist, aber er dringt nicht darauf, daß sie anders sein sollte; er glaubt vielleicht nicht einmal, daß sie anders sein könnte. Er ist kein Himmelsstürmer, kein Weltverbesserer, kein Neuerer.»Das Thatenzeugende«, welches man mit Recht als eine herrliche Eigenschaft an der Poesie unseres größten Dramatikers gerühmt hat, fehlt hier ganz und gar. Mit stillgefaßtem, entsagendem Sinne, nicht ohne leise Wehmuth, blickt er ruhigen Auges über das Leben hin. Ueber seiner Welt liegt das halbhelle Licht eines späten Herbsttages, das Firmament ist bedeckt, Nebelstreifen spinnen zwischen Himmel und Erde. Ist eine Sonne hinter den Wolken? Wird ein Frühling kommen? Er sagt es uns nicht. Darum ist sein Buch traurig, trauriger als all´ die Gemälde, welche die Dichter und Verkünder der neuen Zeit, die gewaltigen Ankläger der Gegenwart, von dem Elende des Bestehenden entworfen haben. Er gehört nicht zu ihnen. Der lebenskräftige, fruchtreiche Baum seiner Dichtung wurzelt in der tiefen, lange überlagerten Erdschicht der alten Zeit. Das verräth schon sein Stil. Nichts von der hastenden Unruhe der Modernen, ihrer angreifenden Kühnheit, ihrer Lust an der Zergliederung jedes Gefühls aus nächster Nähe und der Ableitung jeder Handlung und Empfindung aus weitester Ferne, ihrem Aufspüren kleinster Züge, ihrem Abwägen des inneren Werthes von Wort und Klang. Fontane erzählt mit ruhiger Bedachtsamkeit, wohlgeordnet immer das Nothwendige und Richtige: wie[Seite 2] ein feingebildeter, sprachgewandter Mann in guter Gesellschaft, der weiß, daß hier weder der Schwung des Redekünstlers, noch die Nachlässigkeit einer Wirthshausunterhaltung am Orte sind. Wie man
Heft
(2016) 102
Seite
51
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