Theodor Fontane und Der Monatsgast Wolpert 63 Theodor Storm geschickt, 23 woraufhin dieser wohl sofort – sein Brief ist auf den 19. Dezember 1864 datiert – reagierte:»Ihr Einzugslied ist so außerordentlich gut, daß ich gründlich dazu gratulieren muß, obgleich der Zipfel der verfluchten Kreuzzeitung aus jeder Strophe heraushängt. Möchten Sie der letzte Poet jener, doch Gott sei Dank und trotz alledem dem Tode verfallenen Zeit sein, worin die That des Volkes erst durch das Kopfnicken eines Königs Weihe und Bedeutung erhält. Ihr – ich sage es nochmals – meisterliches Lied feiert lediglich die militairische Bravour, wodurch der Beifall des Königs – oder Königthums erworben ist, von einem sittlichen Gehalt der That weiß es nichts. Sie hat auch dießmal keinen. Warten Sie nur, wenn ich Ihre Balladen einmal unter meine kritische Feder bekomme!« 24 Sicherlich spricht Storm in der zitierten Briefäußerung vor allem als Republikaner, als Demokrat, den die monarchistische Ausrichtung des Gedichts, das die Leistungen der Soldaten als Huldigung an den König feiert, irritiert und stört. Zugleich belegt der hier erhobene Vorwurf, Fontanes Gedicht feiere»lediglich die militairische Bravour«, entbehre aber jeglichen»sittlichen Gehalt«, aber auch»Storms ›politische Aversion gegen Preußen‹, die er schon, bevor er nach Potsdam gekommen war, auch gegenüber Fontane geäußert hatte« 25 , zu welcher nun – aktuell – seine Enttäuschung über das Ergebnis des Sieges Preußens und Österreichs über Dänemark dazugekommen war, das für seine Heimat,»die Herzogtümer Schleswig und Holstein keine Selbständigkeit, sondern vielmehr eine neue Abhängigkeit zur Folge hatte.« 26 Doch war es dies allein? Was hätte der »sittliche Gehalt« eines solchen Einzugsliedes sein können? Oder war es auch der Blick auf die Leerstelle in Fontanes Gedicht, der Blick auf die Opfer des Krieges, der Storm bewegt hat? Eine unmittelbare Reaktion Fontanes auf Storms Kritik ist nicht bekannt. Der folgende Brief Storms an Fontane vom 16. Februar 1865 läßt ganz eindeutig auf einen zeitlich dazwischen liegenden, aber bislang nicht bekannten Brief Fontanes an Storm schließen. 27 Der Brief Storms vom 16. Februar 1865 gibt aber keinerlei Hinweis darauf, ob und wie Fontane auf Storms kritische Äußerungen vom 19. Dezember 1864 reagiert hat. Das muß jedoch nicht bedeuten, daß Fontane Vorbehalte, wie die von Storm vorgebrachten, nicht teilte. 28 So schildert er beispielsweise in Kriegsgefangen, wie sehr er»verstimmt« war über das ihm in seinem Gefängnis im alten Donjon von Moulins zufällig in die Hände geratene Buch La grande Armée 29 und er rechtfertigt seine Verstimmung mit Worten, die – vielleicht nicht ganz zufällig? – stark an die Storm’sche Briefpassage erinnern:»›Solche Bücher‹, sagt’ ich mir, ›schreibst Du selbst. Sind sie ebenso, so taugen sie nichts. Die bloße Verherrlichung des Militärischen, ohne sittlichen Gehalt und großen Zweck, ist widerlich.‹ Damit klappte ich das Buch zu«. 30 Doch lassen wir uns von diesen Sätzen nicht täuschen. Auch eine solche
Heft
(2016) 102
Seite
63
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten