66 Fontane Blätter 102 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes jüngsten preußisch-militärischen Triumphe nur allzu gern verdrängte dunkle und schreckliche Seite des Krieges und des Soldatenstandes nicht ausblenden wollte. Eine solche Erweiterung des Blickfeldes, ein solcher Kontrapunkt ist auch bei dem Kriegsberichterstatter Theodor Fontane zu finden. Auch er nimmt Lazarett-Szenen, sterbende und gefallene Soldaten, also das entsetzliche Elend»Am Tage nach der Schlacht« – so ist sein in der Gartenlaube vorabgedrucktes Kapitel aus Der deutsche Krieg von 1866 überschrieben 48 – in den Blick. Geben wir also Fontane und einem von ihm zitierten Offizier vom vierten Corps auf dem Schlachtfeld von Königgrätz das letzte Wort. 49 Vielleicht können wir, wenn wir dessen Bericht lesen, die Stimme des alten Briest leise mithören, wenn er angesichts des trauernden Neufundländers Rollo vor Effis Grab mit seiner Frau spricht:»Ja, Luise, die Kreatur. Das ist es ja, was ich immer sage. Es ist nicht so viel mit uns, wie wir glauben. Da reden wir immer von Instinkt. Am Ende ist es doch das beste.« 50 Doch zurück zu dem Kriegsberichterstatter Fontane und dem genannten Offizier vom vierten Corps. Dieser hatte am Sonntag nach der Schlacht von Königgrätz, die am Mittwoch, den 4. Juli geschlagen worden war, sein Pferd satteln lassen, »um einmal ganz allein das Schauerliche des Schlachtfeldes zu sehen […] Die untergehende Sonne warf bereits ihre letzten Strahlen auf das Feld, als ich aus Nedelist herausritt, und der kühle Abendwind trug mir den Leichen- und Blutgeruch entgegen. Einen nicht an diesen Geruch Gewöhnten würde eine Ohnmacht angekommen sein; ich kannte ihn schon und ritt weiter, um nach Chlum und Sadowa zu gelangen, wo die Hauptschlacht geschlagen worden war. – Todtenstille herrschte ringsum, welche nur manchmal durch die Unruhe meines Pferdes und Hundes unterbrochen wurde. Beide vertrugen den scharfen Blutgeruch nicht; sobald wir an eine Stelle kamen, schnaufte Bella mit weit geöffneten Nüstern und stampfte mit den Hufen auf den Boden, der Hund ging in großen Kreisen um die bezeichnete Stelle herum und heulte fürchterlich. Erst nach einer Aufmunterung durch die Sporen ging das Pferd über alles hinweg und jagte endlich eine Lerche auf, die zwar singend in die Höhe stieg, aber einen Gesang anstimmte, wie ich ihn sonst bei Lerchen nie gehört habe …«
Heft
(2016) 102
Seite
66
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