Heft 
(2016) 102
Seite
81
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Fontanes politischer Altersroman Der Stechlin Zuberbühler 81 künstlerischen Versagens jedoch mit energischem Widerspruch reagierte. Bei den Stechlin-Gesprächen handle es sich keineswegs um eine Ansamm­lung von Aphorismen, sondern um eine wundersame,»sublime« ja mit einem Dubslavschen Ausdruck»celeste«» Lebensmusik«.»Hohe, heitere und wehe, das Menschliche auf eine nie vernommene, entzückende Art um­spielende Lebensmusik sind diese Plaudereien«. 50 Damit war das»Mensch­liche« und Künstlerische anstelle des Historischen und»Politischen« zum Kennzeichen des Stechlin erhoben. Thomas Manns sensible, intuitiv-musi­kalische Aufnahme des Fontaneschen Textes entsprach seinen Betrachtun­gen eines Unpolitischen, in deren Optik Begriffe wie Politik oder gar Demo­kratie als undeutsche,»westliche« Fremdwörter galten.»Ich bekenne mich tief überzeugt, daß das deutsche Volk die politische Demokratie niemals wird lieben können, aus dem einfachen Grunde, weil es die Politik selbst nicht lieben kann, und daß der vielverschrieene ›Obrigkeitsstaat‹ die dem deutschen Volke angemessene, zukömmliche und von ihm im Grunde ge­wollte Staatsform ist und bleibt.« 51 Im Jahr 1928 legte Julius Petersen seine Untersuchung vor, die anhand der damals noch vorhandenen Entwürfe den wechselvollen Entstehungs­prozess des Romans rekonstruierte und zugleich mit der Zeitgeschichte in Verbindung brachte. 52 Petersens scharfsichtigen Beobachtungen, größten­teils noch heute gültig, muss man jedoch entgegenhalten, dass auch er, sei­ner genetisch-philologischen Methode verpflichtet, die Romanstruktur der Schlussfassung nicht in den Blick bekam.»Auf den geplanten Gegensatz zwischen Adel wie er ist und wie er sein sollte«, behauptet er, sei»verzich­tet. Dem Realisten Fontane ist das Sein wichtiger als das Werden. Er kann den Adel nur darstellen, wie er ist, und so wie er ist, ist er gut und soll er bleiben.« 53 Demnach laufe die Quintessenz von Fontanes Altersroman auf das Menschliche, nicht auf das Politische hinaus auf»reifes Menschen­tum, reiche Lebensbeobachtung, gesellige Unterhaltungsgabe und mildes Verstehen«. 54 In diesem Verständnishorizont stand noch Max Rychner, wenn er den Stechlin in seinem Essay verehrte als»eines der weisesten Spiele, die mit der deutschen Sprache gespielt wurden«(1949). 55 Auch für ihn war der Stechlin die Verherrlichung einer Lebenshaltung, wie sie der alte Dubslav von Stechlin verkörpert. Der einsame Gutsherr auf dem Stechliner Sitz sei »weise geworden, gütig und gerecht. Sein Zauber aber besteht darin, dass er spielend so ist, ohne belastenden Nachdruck.« 56 Er»steht für die Besten, für den Adel innerhalb des Adels.« 57 Freilich wird nun anerkannt, dass der Roman auch eine politische Seite habe, und dieses»Politische«, das Wort im weitesten Sinne genommen, manifestiere sich in all den vorgeführten ge­sellschaftlichen Verhältnissen.»Dass, wie Napoleon zu Goethe sagte, die Politik das Schicksal sei, hat kein deutscher Dichter in der zweiten Jahrhun­derthälfte so wesentlich verstanden wie Fontane, weil er den Begriff des