Fontanes politischer Altersroman Der Stechlin Zuberbühler 85 Lorenzen»lacht« oder»lächelt«, Dubslav pflegt zu»lachen«. Das Wort »lachen« wird im Stechlin geradezu zu einem Synonym für»sagen« und »antworten«. Eine Atmosphäre heiterer Lebensfreude und geistreicher Causerie bestimmt den Gesprächston der Vordergrundfiguren, deren Umgangsformen noch von der»Politesse« des 18. Jahrhunderts geprägt sind. Was für den Stechliner Lebenskreis um Dubslav gilt, das gilt ebenso für die Plaudereien im Berliner Kreis um Graf Barby, und in besonderem Maß gilt es für die Atmosphäre auf der Landpartie zum»Eierhäuschen«.»Alle waren in jener heitern Stimmung, in der man geneigt ist, alles schön und reizend zu finden. Und diese Stimmung kam denn auch gleich der Dampfschiffahrtsstation zustatten. Unter lachender Bewunderung der sich hier darbietenden Holzarchitektur stieg man ein Gewirr von Stiegen und Treppen hinab«(161). Die stille Armgard freilich kommt erst in der zweiten Hälfte des Romans zum Reden und Lachen in Gesellschaft, nachdem sie sich über ihre Gefühle klar geworden ist und sich mit Woldemar verlobt hat. Der heitere Grundton ändert sich nicht bis zum Schluss des Romans, auch nicht in denjenigen Partien, die im Zeichen von Dubslavs schwerer Erkrankung stehen. Noch in seinem letzten Gespräch mit Pastor Lorenzen, als der Alte mit seinem baldigen Tod rechnet, hält sich die Stimmung des»heiteren Darüberstehens« durch. Dubslavs letztes Wort zu seinem Pastor ist ein mit der Zukunft Preußens versöhntes, mit einem Lächeln ausgesprochenes, doppelt bekräftigtes»Ja«(440). Neben den auf Heiterkeit gestimmten Vordergrundgestalten gibt es im Stechlin allerdings auch die gestrengen, humorlosen und»aufgesteiften« Figuren – kompromisslose Eiferer wie den gnadenlosen Kritiker und Musiker Dr. Wrschowitz und den dünkelhaften Maler Cujacius, zwei Künstler, welche sich wegen künstlerischer Fragen alsbald in die Haare geraten. Über diese verkrampften und von sich selbst eingenommenen Figuren aber, die selber nicht zu lachen vermögen, wird gelacht oder gelächelt – was nicht ausschließt, dass Wrschowitz´ überzogene Forderung nach»Kritikk« in der Zeit des Wilhelminismus eben doch ein gut Teil Berechtigung hat. Ein beflissener»Streber« wie der Ministerialassessor Rex, der sich auf stramm wilhelminischem Kurs befindet, wird von seinem Freund, dem Freigeist Czako, andauernd geneckt. Die unbedarfte Frau von Gundermann wiederum versetzt den Stechliner Pastor beim Kaffee mit ihrer unpassenden Ausbreitung häuslicher Intimitäten»abwechselnd in Verlegenheit und dann auch wieder in stille Heiterkeit«(46). Gegenüber den bornierten Verfechtern des»Alten« wird das Stilmittel der Satire eingesetzt. Das betrifft sowohl den neureichen Sägemühlenbesitzer Gundermann, den»Scharfmacher« gegen die Sozialdemokraten, als auch die ebenso märkisch-tüchtige wie märkisch-bornierte Domina Adelheid vom Kloster Wutz. Sie kann zwar beim Besuch ihres Lieblings Woldemar einmal lachen(117); sie kann auch einmal»gnädig« lächeln(96), einmal über irgendetwas Unverstandenes
Heft
(2016) 102
Seite
85
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