86 Fontane Blätter 102 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte »kichern« und über Dubslavs vermeintliche Beschränktheit»herzlich lachen«(413); sie vermag aber nicht, wie die andern, aus purer Lebensfreude zu lachen; und sie kennt auch, wie sich in der Agnes-Episode erweist, ein anderes, ein böses und aggressives Lachen(417). Auf groteske Karikaturen reduziert sind schließlich, mit ihrer Ich-Hypertrophie, die Kloster-Konventualin Fräulein von Triglaff aus dem Hause Triglaff und der götzenhafte Edle Herr von Alten-Friesack. Bei aller Heiterkeit im Ganzen zieht sich durch den Stechlin doch auch eine klare Grenze der humoristischen Betrachtung des Lebens. Darin unterscheidet sich die Fontanesche Heiterkeit vom bloß»Pläsierlichen«. 70 Der alte Dubslav ist zwar der Meinung, es gebe wenige Dinge, die nicht auch eine komische Seite hätten. Doch es gibt sie.»Dünkel und Überheblichkeit« indessen, versichert der Erzähler,»waren so ziemlich die einzigen Dinge, die ihn empörten«(8). Und als der Alte einmal vom keuschen Naturell der seit kurzem verheirateten Armgard spricht und seine Schwester Adelheid das ironisch missverstehen will, erklärt er dezidiert:»Über solche Dinge spaß´ ich überhaupt nicht«(413). Ernst bleibt zumeist auch der mit Dubslav befreundete Pastor Lorenzen. Seine politischen Anschauungen werden durch keine ironischen Untertöne relativiert. Infolge der klaren Abgrenzung von Humor und Ernst wechseln im Stechlin in einem wohlkomponierten Wechsel der Töne immer wieder ernste Passagen mit humoristischen. Die stoische»Ruhe des Gemüts« jedoch durchdringt alles, den ganzen Text, den Ernst wie den Scherz, das Beglückende wie das Schmerzliche, und wahrt trotz allen menschlichen Irrtümern und Verbohrtheiten, trotz Vergänglichkeit und Tod die Poesie des Lebens. IV Einem Roman des poetischen Realismus darf, auch wenn es sich um einen »politischen Roman« handelt, die elementare menschliche Dimension nicht fehlen. Die Protagonisten dürfen nicht bloß das Sprachrohr verschiedener Weltanschauungen und politischer Doktrinen sein – sonst würden ihre Äußerungen zu»bloß gedachten Inhalten« –, sondern sie müssen als»wirkliche Menschen« in Erscheinung treten, als Menschen mit ihren Stärken und Schwächen, mit ihrem eigenen Charakter und ihrem persönlichen Schicksal. Das erklärt auch die eigentümliche Nachsicht, die der Erzähler seinen Figuren gegenüber walten lässt. Zum Allgemein-Menschlichen, zu den genuin menschlichen Grundsituationen, gehören auch in Fontanes Altersroman Liebe und Tod. Die Romanhandlung, die dem Stechlin zugrunde liegt, erzählt von einem Generationenwechsel. Die beiden Handlungsstränge führen, miteinander verflochten, das letzte Lebenshalbjahr des alten Stechlin und das Zueinanderfinden von Woldemar und Armgard vor Augen; die Erzählung
Heft
(2016) 102
Seite
86
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