Heft 
(2016) 102
Seite
87
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Fontanes politischer Altersroman Der Stechlin Zuberbühler 87 endet mit der Rückkehr der jungen Generation auf die»Scholle« der Väter. Das Todes- und Vergänglichkeitsmotiv ist im Roman von Anfang an prä­sent, in jener ominösen Rokoko-Uhr im Stechliner Schloss mit dem Zeiten­gott, der eine Sense(»Hippe«) führt, ja mit dem Stechliner»Kirchhof« sogar unauffällig schon auf der zweiten Seite. Das»memento mori« wird aber auch spürbar im Naturmotiv der immer wiederkehrenden Abendröten und Sonnenuntergangsstimmungen. Dubslavs Krankheitsgeschichte, die zu seinem Tod führt, füllt, nach mancherlei Vorzeichen, die letzten beiden Ro­man-Bücher. Das Todesmotiv erscheint nun sogar im Titel:»Sonnenunter­gang« und»Verweile doch. Tod« letzteres an die Schlusszenen in Goethes Faust-Dichtung erinnernd, freilich um dann nach dem Stichwort»Begräb­nis« mit dem tröstlichen Ausblick auf den Fortgang des Lebens im Diesseits zu schließen. Auch die entscheidenden Stationen von Armgards und Woldemars Le­bensgeschichte sind in den Überschriften der einzelnen Bücher markiert: »Verlobung. Weihnachtsreise nach Stechlin«,»Hochzeit«,»Neue Tage«. Der Leser soll bei all den Detailgesprächen des Romans auch die großen Linien der Handlung nicht aus dem Auge verlieren. Dass die Lebens- und Liebes­geschichte der beiden»Jungen« mit äußerster Verhaltenheit erzählt wird, 71 hat, neben Fontanes Zurückhaltung auf psychographischem Gebiet, das sich dem direkten sprachlichen Zugriff entzieht, auch erzähltechnische Gründe. Zwar was die Brautwerbung Woldemars betrifft, so ist bei Roman­beginn, wie der junge Garde-Offizier auf der Schifffahrt zum»Eierhäus­chen« Melusine gegenüber einmal durchblicken lässt, die Entscheidung für die zwanzigjährige Komtesse Armgard von Barby bereits gefallen(164 f.). Doch ihr Entscheid steht noch aus. Das erklärt, warum Woldemar seinem Vater auf dessen insistierende Fragen hin ausweichend antwortet. Ritt­meister Woldemar von Stechlin wartet, schweigend, zurückhaltend, vor­nehm und doch voll innerer Unruhe auf Armgards Entscheidung. Damit es aber diesem Handlungsstrang nicht an Spannung fehlt, sugge­riert der Erzähler, dass des Rittmeisters Wahl noch offenstehe. Er greift deshalb, abgesehen von Woldemars beharrlichem Schweigen, zu einem weiteren erzähltechnischen Trick: die Romanhandlung setzt, nach den Ex­positionskapiteln, mit einem Tagebucheintrag Woldemars ein, der ganz am Anfang seiner Bekanntschaft mit dem Barbyschen Hause geschrieben wur­de, als die Situation noch offen war. Dank diesem Arrangement kann der Erzähler die Frage»Welche wird es?«(244), die Woldemars gesamte Umge­bung beschäftigt die Freunde Rex und Czako, Tante Adelheid, den Vater Dubslav, den alten Grafen, die herrschaftlichen Kutscher, scherzhaft zu einer spannenden»großen Frage« hinaufstilisieren(169). Der glücklichen Verlobungs- und Heiratsgeschichte des jungen Paars steht die Lebensgeschichte der geschiedenen Gräfin Melusine gegenüber,