Heft 
(2016) 102
Seite
97
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Fontanes politischer Altersroman Der Stechlin Zuberbühler 97 ausspricht(62) und»gern eine freie Meinung« hört,»je drastischer und ext­remer, desto besser«, und für den es»unanfechtbare Wahrheiten[...] über­haupt nicht« gibt(8), gewinnt vor diesem Hintergrund eine unvermutete zeitgeschichtliche Brisanz. Gegen den Adel,»wie er ist«, führt Fontane in seinem Roman den Adel, »wie er bei uns sein sollte«, ins Feld, den»echten Adel«, den»Adel innerhalb des Adels«(Max Rychner). Der alte Gutsherr Dubslav von Stechlin lässt »mit sich reden«(43). Zwar zählt auch er zur ostelbischen Junkerkaste, die im Roman in der Kritik steht; er selbst hält sich für»einen echten alten Jun­ker«(136). Aber er gehört zu deren»glänzenden Nummern«. 110 Die vom Dichter auffällig herausgearbeiteten Parallelen zwischen Dubslav und der damaligen Weltberühmtheit Bismarck verleihen dem Stechliner Schloss­herrn einen unübersehbaren Zuwachs an Bedeutung. In Bismarck hat ­Fontane»den lebenden großen Typus altmärkischen Adels« gesehen. 111 Der signifikante»Bismarckkopf«, der Dubslav eignet, kennzeichnet in gleicher Weise den»Typus eines Märkischen von Adel«(8). Bismarck, der geniale Reichsgründer, der 1895, weltweit bejubelt, seinen 80. Geburtstag feierte, demonstrierte die»Herrscherfähigkeit und Herrscherberechtigung« 112 des altmärkischen Adels in einsamer Vollendung. Mit Dubslav von Stechlin wird ein anderer Menschentyp dichterisch verklärt, den der märkische Menschenschlag hervorgebracht hat. Dubslav hat gerade das, was dem Tat­und Machtmenschen Bismarck versagt blieb:»Edelmut«. 113 Er verkörpert den Gesinnungs-Adel; er hatte, wie Pastor Lorenzen in seiner Grabrede sagt,»das, was über alles Zeitliche hinaus liegt, was immer gilt und immer gelten wird: ein Herz. Er war kein Programmedelmann, kein Edelmann nach der Schablone, wohl aber ein Edelmann nach jenem alles Beste um­schließenden Etwas, das Gesinnung heißt«(448 f.). Mit Graf Barby tritt ein weiterer beispielhafter Repräsentant des alt­märkischen Adels im Roman auf, ein Angehöriger des Hochadels. Doch dem Sohne Dubslavs, Woldemar, fällt gleich bei der ersten Begegnung mit dem Barbyschen Hause eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen dem gräfli­chen Hausherrn und seinem Vater auf:»Wie ein Zwillingsbruder von Papa; derselbe Bismarckkopf, dasselbe humane Wesen, dieselbe Freundlichkeit, dieselbe gute Laune«(136). Der alte Graf, der die diplomatische Laufbahn eingeschlagen hatte sie war ein Privileg seines Standes, ist freilich ein »Weltmann«(136), und das Weltmännische unterscheidet ihn vom verein­samten Dubslav. Aber beiden ist, in auffälligem Gegensatz zu ihren Stan­desgenossen,»keine Spur von Selbstsucht« eigen. Es fehlt ihnen völlig das von der Vossischen Zeitung dauernd attackierte Stigma ihres Standes, der Egoismus. Die Barbys bilden sich nichts auf ihren Stand ein;»die waren nur Menschen, und daß sie nur das sein wollten, das war ihr Glück und zugleich ihr Hochgefühl«(293). Erstaunlicherweise bekennt sich Graf Barby sogar zum Liberalismus. Und gerade in diesem Punkt konstatiert Woldemar