Heft 
(2016) 102
Seite
98
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98 Fontane Blätter 102 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte ­derum eine auffällige Verwandtschaft zwischen den beiden alten Herren. »Aber was am verwandtesten ist«, notiert er in seinem Tagebuch,»das ist doch die gesamte Hausatmosphäre, das Liberale. Papa selbst würde zwar darüber lachen, er lacht über nichts so sehr wie über Liberalismus und doch kenne ich keinen Menschen, der innerlich so frei wäre, wie gerade mein guter Alter«(136). Warum lacht Dubslav»über Liberalismus?« Der Wirtschaftsliberalis­mus ist gemeint. Dubslavs auf persönliche Verantwortung gegründeter Pa­triarchalismus wendet sich gegen die Alleinherrschaft des kapitalis­tischen Marktes. Darin trifft er sich mit dem damaligen Wortführer der»jungen« Christlich-Sozialen, Friedrich Naumann. Dieser zitiert einmal eine Passage aus einer Schrift des Nationalökonomen Karl Marlo, die das Scheitern des ökonomischen Liberalismus konstatiert: »Die Liberalen wollten die Arbeit frei machen, und haben sie unter das Joch des Kapitals gebeugt[...]; sie wollten das Verdienst zu Ehren bringen, und haben es zum Sklaven des Besitzes gemacht; sie wollten Vernichtung sämtlicher Monopole, und haben sie alle durch das Riesenmonopol des Ka­pitals ersetzt[...]; sie wollten die höchste Sittlichung der Gesellschaft, und haben sie in sittliche Fäulnis versetzt; sie wollten, um alles mit einem Worte zu sagen, schrankenlose Freiheit, und haben die schmählichste Knecht­schaft erzeugt; sie wollten das Gegenteil von allem, was sie wirklich erlang­ten, und haben damit den Beweis geliefert, dass der Liberalismus in seinem ganzen Umfange nichts andres ist als eine vollkommene Utopie.« 114 Damit dürfte deutlich geworden sein, was auch den Stechlin-Dichter von der Vossischen Zeitung trennt. Er habe zwar»einen ganz freien Sinn«, sei»aber freilich nicht ›freisinnig‹«, hatte Fontane schon 1889 dem Chefre­dakteur der Vossin bekannt, als er ihm mitteilte, er habe beim Herausgeber des Blattes um die Genehmigung seines Rücktritts als Theaterkritiker mit dem Erreichen des 70. Altersjahrs nachgesucht, gleichzeitig aber den Wunsch ausgesprochen, auch weiterhin noch in einem freien Anstellungs­verhältnis mit der Zeitung zu bleiben.»Wären nicht«, schrieb er damals, »die verdammten politischen Unterschiede, so wäre ich wundervoll als Leit­artikelschreiber zu verwenden[...]. Denn eigentlich interessiert mich nur alles Historische und gibt mir die Kraft und Wärme der Darstellung.« 115 Sieben Jahre später glaubte sich der Stechlin-Dichter gegen die Unterstel­lung zur Wehr setzen zu müssen, er schreibe seinen politischen Roman»in einem gewissen Vossischen-Zeitungs-Sinne« als Propagandist des Links­liberalismus, und betonte gegenüber dem Herausgeber der Vossin seine als Fundament»immer noch vorhandene Adelsvorliebe«. 116 Indessen wird auch im Stechlin an prominenter Stelle Dubslavs innere Freiheit, sein»frei­es Darüberstehen«, als höchstes Lebensziel gerühmt.»Er war recht eigent­lich frei.«(449)