Heft 
(2016) 102
Seite
103
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Fontanes politischer Altersroman Der Stechlin Zuberbühler 103 Der glänzende Einfall, mit dem Fontane indirekt, im Alltäglichen, die Ge­sinnung deutlich macht, wie sie»von oben« propagiert wird, ist die Figur des Ministerialassessors Rex. Wer könnte die»an oberster Stelle« er­wünschten Untertanen-Tugenden besser zum Ausdruck bringen als einer, der sich, ohne sich selber darüber ganz im Klaren zu sein, nach dem aus­richtet,»was gerade gilt und nach oben hin empfiehlt«(25)? Schon der Name »Rex« ist verräterisch, erinnert er doch an die Titulaturen des Kaisers und Königs von Preußen, der sich in seinen Briefen und öffentlichen Verlautba­rungen als»Imperator und Rex« kundgab. 127 In Ministerialassessor Rex werden die offiziell geforderten Tugenden»Kirchlichkeit«,»Sittlichkeit« und Anerkennung der»durch Gott gegebenen Ordnungen«(60) ebenso deutlich dargestellt wie freundlich zwar, aber entschieden in ihrer gan­zen Unechtheit und Hohlheit entlarvt. Genau wie der Kaiser den Rex, als typischer Vertreter des überhandnehmenden Byzantinismus, ehrfürchtig »Majestät« nennt(53) verbreitet sich der Ministerialassessor nicht nur über den bedenklichen»Ernst der Zeiten«, sondern erwartet»auch von dem Bau neuer Kirchen einen allgemeinen, uns nahe bevorstehenden Um­schwung«(240). Ebenso scheint bei Rex auch entsprechend der vom Kaiser initiierten Weltanschauung des»Militarismus« der militärische Rang wich­tiger als der bürgerliche Beruf zu werden: Rex ist Ministerialassessor aber »vielleicht noch darüber hinaus, ist er Offizier«(116). In anderer Hinsicht als Rex erweist sich im Roman als Sprachrohr des kaiserlichen Willens der Sägemühlenbetreiber und Börsenspekulant Gun­dermann, der Neureiche, der Bourgeois, der gegen Dubslavs Reichstags­kandidatur intrigiert, weil»der Alte senil sei und keinen Schneid« habe (206). Gundermann ist der konsequente Verfechter der Unterdrückungspo­litik gegen die Sozialdemokratie. Unverkennbar ist die Romanfigur im Hin­blick auf den saarländischen Großindustriellen und Fraktionsführer der »Freikonservativen« im Reichstag, Freiherr von Stumm, entworfen. 128 Stumm war derjenige Politiker, der, Bismarcks Konzept der»Gewaltpolitik« übernehmend, das Programm des»Klassenkampfes von oben« verfocht und mit seiner intransigenten Haltung Einfluss auf den Kaiser gewann. Schon im Aufruf»zum Kampf[...] gegen die Parteien des Umsturzes« hatte sich der Kaiser den Stummschen Standpunkt zu eigen gemacht, den»Stand­punkt rücksichtslosester Verfolgung und Unterdrückung.« 129 Auch für Gundermann stellt sich die»soziale Frage« als reine Machtfra­ge dar. Im Gespräch mit Woldemar kritisiert er die umgängliche Art des alten Stechlin und redet einer Politik unnachgiebiger Härte das Wort.»Wer mit sich reden läßt, ist nicht stramm, und wer nicht stramm ist, ist schwach. Und Schwäche(die destruktiven Elemente haben dafür eine feine Fühlung), Schwäche ist immer Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie«(43). Es entbehrt nicht der Ironie, wenn hier eines der abgedroschensten politi­schen Schlagworte der Zeit die damalige Innenpolitik wurde danach