Laudatio für Josef Bierbichler Spengler 125 zum Heidnischen bäuerlich geprägten Gemeinschaft, das Verdrängen scheinbar gefestigter Strukturen durch eine neue Rationalität der Landeroberung von Immobilienspekulanten aus einer Großstadt, die Düsseldorf, Hannover und im Zweifelsfall München heißt. Und das alles in prall barocken Szenen, die einige Kritiker an den magischen Realismus lateinamerikanischer Autoren erinnerte. Dabei muss man in Bierbichlers Heimat soweit nun gar nicht schweifen, es reicht ein Blick auf die Votivtafeln einer bayrischen Wallfahrtskapelle. Kaum hatte ich diese klugen und schwer zu bezweifelnden Sätze niedergeschrieben, traf mich am Schreibtisch – virtuell – der spöttische Blick unseres Preisträgers. Denn so abgehoben, so distanziert intellektuell, reden und schreiben, sprach der Blick des Preisträgers, so schreiben nur Literaturkritiker, die in Bierbichlers Roman Mittelreich den neuen Heimatroman, eine Fortsetzung der Buddenbrooks, vielleicht auch die neue Voralpensaga entdeckt zu haben glauben. Von Theodor Fontane war, soweit ich das nachlesen konnte, bei den Vergleichen übrigens nie die Rede. Auf dessen ersten Kontakt mit Bierbichler werde ich später noch zu sprechen kommen. Dennoch wird man diesen Kritikern nicht widersprechen wollen, das Botanisieren, das Einsortieren gehört nun einmal zu ihrem Beruf. Und den Autor immer – wie bei Journalisten übler Brauch – nur als»polternde Naturgewalt« zu charakterisieren, kann ja auch nicht das letzte Wort in Sachen Literaturkritik sein. Vielleicht störte mich auch deswegen, dass von Fontane nie die Rede war. Nicht einmal, wenn vom Alter von Romandebütanten die Rede war. Denn es gibt ja einen Bezug, der direkt von Fontane zu Bierbichler führt, ich rede hier von Fontanes Romanen zur Chronologie der Zeit, und ich rede noch einmal von der Technik dieser beiden Schriftsteller, im Raum der Kunst eine geglückte Choreographie von Nähe und Distanz herzustellen. Josef Bierbichler zeichnet nämlich die Figuren, deren Schicksal er uns als Erzähler nahebringt, nie in den Pastelltönen der Empathie, und er lässt sie nie eine Rolle»spielen«, selbst wenn sie sich so melodramatisch verhalten wie in seinem Roman der Seewirt Pankraz, dem im Wintersturm das Dach des Wirtshauses davonfliegt und der dagegen Arien aus dem Fliegenden Holländer singt. Oder wie dessen Sohn Semi, der seine Mutter mit einem langen Kuss in den Tod befördert. Eine Mutter, die ihn immer wieder in das katholische Internat zurückschickte, in dem er sexuell missbraucht wurde. Die Leser werden Zeugen dieser wilden, dieser intimen Akte, doch nie werden sie auf die Schleimspur der Kolportage gelockt, die eine falsche Nähe suggeriert. Zum anderen ist Bierbichler ein Meister der heiteren Ankündigung des kommenden Unheils. Ich darf Sie, meine Damen und Herren, nur an eine
Heft
(2016) 102
Seite
125
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